Teil 1: Ein erster Umriss
Die größte Triebfeder für alle Arten von existenziellem Denken ist und
war seit jeher die banalste und zugleich bedeutendste Tatsache, vor die
jedes reflexive Lebewesen unweigerlich geworfen wird: Dem eigenen Ende.
Während die vielen verschiedenen Kompensationsmöglichkeiten angesichts
dieser Tatsache schon beinah zwangsläufig folgen, gilt das für daraus
dauerhaft resultierende Erkenntnis nicht unbedingt, zumal eine
Möglichkeit der Kompensation schlicht und ergreifend die Verdrängung
ist. Diese geschieht öfters in der Form der Trivialisierung- natürlich
müssen wir alle einmal sterben, das ist so natürlich, dass es sich nicht
lohnt, dem mehr Aufmerksamkeit zu widmen, als etwa dem Akt der
Ausscheidung.
Doch wie kann das Ende bedeutungslos sein, ist es doch gerade das, was alle andere als bedeutungslos erscheinen lässt?
Bei einer rationalen Betrachtung des Lebens in seiner Gesamtheit- also
einer abstrakten, möglichst emotionslosen Betrachtung- ist der Tod nicht
bloß das Ende, sondern zugleich derselbe Zustand, wie er vor der Geburt
bestand. Zwar ist auch diese Aussage im Grunde noch Spekulation und ein
aufrechter Skeptiker würde ihr wohl niemals so einfach zustimmen;
manchmal erscheint aber auch die Urteilsenthaltung des Skeptikers über
ein Jenseits eher als letzte, aus Verzweiflung gebaute, Bastion gegen
die große Leere. Denn es gibt kaum einen vernünftigen Grund, ein
Jenseits, das heißt eine Form von transzendenter Welt, an der unser aus
Gehirnzellen hervorgepresstes Bewusstsein ohne seinen Träger Anteil hat,
anzunehmen.
Es bleibt dabei: Vom Nichts ins Nichts; dazwischen die kleine, aber
unglaubliche Absurdität, die man gemeinhin Leben nennt- ein wertvolles
Geschenk, oder eine äußerst makabere Zumutung?
Nach wie vor in einer rational ganzheitlichen Betrachtung klarsichtig
innehaltend, erscheint letzteres deutlich zutreffender zu sein. Denn
warum dieser Umweg, zumal er auch noch als solcher erkannt wird und zu
allem Überfluss auch noch an einen geradezu sadistischen Lebenstrieb
gekoppelt ist?
Und doch, bliebe auch nur eines von beidem aus, würde die Zumutung
dadurch zum Geschenk? Freilich, der in Verbindung mit Klarsicht erst zu
einem Problem führende Lebenstrieb ist nicht dieses eine von beidem.
Denn auch ein vollkommen klarsichtiges Wesen, das von jedem Lebenstrieb
ungetrübt umgehend ein Ende machen würde, dürfte den Umweg dann wohl
doch weniger als Geschenk, denn als sinnlose Unnötigkeit betrachten.
Es bleibt also das Fehlen von Klarsicht, was vielleicht keine sonderlich
große Überraschung sein dürfte. Also doch Verdrängung, oder gar
Eintauchen in Illusionen, die, aus erkenntnistheoretischer Perspektive,
einem morastigen Sumpf, aus lebenspraktischer Sicht aber einem klaren,
glitzernden Bach gleichen?
Wäre es für ein klarsichtiges Wesen nicht viel vernünftiger, einen Teil
seiner Klarsicht gegen eine Form von unbeschwertem Glück einzutauschen?
Dem Primat des Glücksstrebens zu gehorchen, anstatt der Erkenntnis auf
düsteren Altären zu opfern?
Vielleicht wäre es das. Doch führt das wieder zu dem Anfang: Dem Ende.
Einmal im Bewusstsein der Vergänglichkeit wirklich eingetaucht, fällt es
schwer, davon wieder loszukommen und vielleicht ist dies gar unmöglich-
und unnötig.
Vielleicht gibt es unter den vielen verschiedenen Umgangsmöglichkeiten noch etwas anderes, als bloße Verdrängung?
Vielleicht kann man Akzeptanz nicht auch auf eine besondere Form von Verdrängung zurückführen (wie z.B. die Relativierung durch Entpersönlichung)?
Vielleicht ist das alles aber bloß Augenwischerei und nichts anderes,
als Illusion, denn die Vergänglichkeit bleibt als Tatsache bestehen,
völlig gleich, wie man ihr begegnet, ob sie als beklemmendes
Angstgefühl, oder als befreiendes Glücksgefühl erlebt wird. Denn auf
einer Metaebene ist dieses Wissen, anders, als das instinktive, nur akut
auftretende Todeswissen, beständig abrufbar- wenn es sich denn nicht
gerade von selbst abruft.
In dem Fall ist es wahrscheinlich unmöglich; wahrscheinlich gibt es einfach manche Menschen, deren Denken den Tod wirklich verdrängt
und kein umfassendes, oder aber häufigeres Bewusstsein von ihm zulässt-
und jene anderen, die Kinder von Thanatos, in dessen Schatten sie ewig
umherwandeln werden.
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