Montag, 31. Dezember 2012

Buchempfehlung: E.M. Cioran - Die verfehlte Schöpfung

Auszüge aus dem Kapitel "Der böse Demiurg":
 
Es ist schwer, es ist unmöglich zu glauben, daß der gute Gott, der "Vater" mit dem Skandal der Schöpfung etwas zu tun hatte. Alles drängt zum Gedanken, daß er nichts dafür kann, daß sie auf einen anderen, skrupellosen Gott, einen korrumpierten Gott weist. Die Güte schafft nicht, ihr mangel es an Phantasie; deren bedarf es aber, um eine Welt herzustellen, wie hingepatzt sie auch sei. Notfalls mag eine Tat oder ein Werk aus der Mischung von Güte und Bosheit entstehen. Oder ein Weltall. Vom unsrigen aus ist es jedenfalls bedeutend leichter, auf einen anrüchigen als auf einen ehrenwerten Gott zu tippen.
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Wir können nicht umhin zu denken, daß die im Zustand des Entwurfs gebliebene Schöpfung nicht abgeschlossen werden konnte und es auch nicht verdiente und daß sie insgesamt ein Fehler ist. Der berühmte Fehltritt, den der Mensch begangen hat, erscheint somit als die verkleinerte Fassung einer weit schwereren Untat. Worin besteht unsere Schuld, wenn nicht darin, daß wir mehr oder weniger dienstfertig dem Beispiel des Schöpfers gefolgt sind? Sein Verhängnis erkennen wir sehr wohl in uns: nicht umsonst kommen wir aus den Händen eines unglücklichen und bösen Gottes, eines verfluchten Gottes.
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Wir alle haben sie geerbt, die Unfähigkeit, bei sich zu bleiben, von welcher der Schöpfer eine so bedauerliche Demonstration geboten hat: Zeugen, das heißt, auf andere Weise, in anderer Größenordnung das Unternehmen fortsetzen, das seinen Namen trägt, es heißt, aus beklagenswerter Nachäffung seiner "Schöpfung" etwas hinzufügen. (...) Die Lepra ist ungeduldig und gierig, sie liebt es, sich auszudehnen. Es ist wichtig, die Fortpflanzung zu entmutigen, denn die Furcht, daß die Menschheit erlösche, hat keine Grundlage: was auch geschieht, es wird immer genug Blöde geben, die nichts besseres wünschen, als sich fortzusetzen, und wenn selbst sie sich schließlich entziehen, so wird sich immer irgendein widerliches Paar finden, das sich dafür opfert. Es geht nicht so sehr darum, den Hunger aufs Leben zu bekämpfen, als die Lust auf "Nachkommenschaft". Die Eltern, die Erzeuger, sind Provokateure oder Irre. Daß noch die letzte Mißgeburt die Gabe besitzt, Leben zu geben, "auf die Welt zu bringen" - gibt es Demoralisierenderes? Wie kann man ohne Entsetzen und Abscheu an dieses Wunder denken, das aus dem nächsten besten einen Kleindemiurgen macht? Was ebenso außerordentlich sein sollte wie das Genie, ist ohne Unterschied allen gegeben: ein anrüchiges Geschehen, das die Natur auf alle Zeiten disqualifiziert.
Die kriminelle Aufforderung der Genesis: "Wachset und mehret euch", konnte nicht aus dem Munde des guten Gottes gekommen sein. Seid selten, hätte er vermutlich empfohlen, wenn er mitzureden gehabt hätte. Niemals hätte er ferner jene unheilvollen Worte hinzufügen können: "Und macht euch die Erde untertan". Man sollte sie sogleich ausmerzen, um die Bibel von der Schmach zu reinigen, sie aufgenommen zu haben. (...) Die Welt ist nicht in Freude erschaffen worden. Doch zeugt man im Genuß. Gewiß, aber der Genuß ist nicht die Freude, er ist deren Trugbild. Seine Funktion ist, zu mogeln, uns vergessen zu lassen, daß die Schöpfung bis in jede Einzelheit das Siegel jener ursprünglichen Trauer trägt, aus der sie entspringt. Die Lust ist wesentlich Betrug und erlaubt uns, zu leisten, was wir theoretisch ablehnen, verdammen. Ohne ihre Hilfe würde die Enthaltsamkeit Terrain gewinnen und selbst die Ratten verführen.
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Aphorismen aus dem Kapitel "Erwürgte Gedanken":
 
Ich kann nichts unternehmen, wenn ich nicht von dem, was ich weiß, absehe. Sobald ich es ins Auge fasse und daran denke, sei es auch nur eine Sekunde, verliere ich den Mut, löse ich mich auf.
 
Leiden heißt Erkenntnis produzieren.
 
Ganze Tage hindurch Lust, ein Attentat gegen die fünf Kontinente durchzuführen, ohne einen Augenblick lang an die Mittel zu denken.
 
Schauen sie sich die Fresse des Menschen an, der auf irgendeinem Gebiet Erfolg hatte, der sich abgemüht hat. Sie finden da nicht die mindeste Spur von Mitleid. Er ist der Stoff, aus dem ein Feind gemacht ist.
 
Geschwätz ist jede Konversation mit einem, der nicht gelitten hat.
 
Die Tiere, die Vögel, die Insekten haben alles seit jeher gelöst. Warum sie übertreffen wollen? Die Natur widerstrebt der Originalität, sie lehnt den Menschen ab, verabscheut ihn.
 
Was mich hindert, in die Arena zu steigen, ist, daß ich dort zuviele Geister gewahre, die ich bewundere, aber nicht achte, weil sie mir so naiv vorkommen. Warum sie herausfordern, warum mich mit ihnen auf der gleichen Piste messen? Meine Mattheit schenkt mir eine solche Überlegenheit, daß sie mich, so scheint's mir, niemals einholen können.
 
Der Mensch, dieser Ausrotter, hat etwas gegen alles, was lebt, gegen alles, was sich bewegt: bald wird man von der letzten Laus reden.
 
Solange man irgendwem, und sei es einem Gott, seinen Erfolg neidet, ist man ein elender Sklave wie alle.

Die verfehlte Schöpfung 

Buchempfehlung: E.M. Cioran - Lehre vom Zerfall

Auszüge:
 
Ich brauche nur zu hören, wie jemand mit Überzeugung von Idealen, Zukunft, Philosophie spricht, wie er voller Selbstbewußtsein "wir" sagt und sich auf die "anderen", für deren Wortführer er sich hält, beruft -, um ihn als meinen Feind anzusehen. Ich erkenne in ihm den verfehlten Tyrannen, den verhinderten Henker - nicht minder hassenswert als Tyrannen und Henker von Format. Denn jeder Glaube übt eine Art Terror aus, und dieser Terror ist umso gefährlicher, als "Idealisten" ihn in die Wege leiten.
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In jedem Menschen schlummert ein Prophet: erwacht er, so gibt es ein klein wenig mehr des Übels in der Welt. Der Predigerwahn sitzt tief in unserem Innern, er muß aus Tiefen emportauchen, die selbst dem Selbsterhaltungstrieb verborgen bleiben. Jedermann erwartet den Augenbkick, da er etwas anpreist - gleichviel was. Er hat eine Stimme, das genügt. Es kommt uns teuer zu stehen, daß wir weder taub noch stumm sind. Von den Straßenkehrern bis zu den Snobs - alle sind sie freigiebig mit ihrer verbrecherischen Großmut, alle verteilen sie Rezepte des Glücks, alle wollen sie die Schritte aller lenken: das Leben in der Gemeinschaft wird unerträglich, noch unerträglicher jedoch das Leben mit sich selber: man braucht sich um die Angelegenheiten der anderen gar nicht zu kümmern, man ist um die eigenen derart besorgt, daß man entweder sein "Ich" in eine Religion umwandelt oder - ein Gegenapostel gleichsam - es verneint. Wir alle sind Opfer des Universalspiels.
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Der Mensch, der sich außerhalb seiner eigentlichen Bahnen und außerhalb seiner Instinkte bewegte, ist schließlich in einer Sackgasse angelangt. Nirgends hat er halt gemacht - nun hat er sein Ende eingeholt. Ein zukunftsloses Tier, mußte er in seinem Ideal versinken: sein eigenes Spiel wurde ihm zum Verhängnis. Weil er ununterbrochen über sich selbst hinaus gelangen wollte, ist er erstarrt und kann nicht weiter; nun bleibt ihm nichts übrig, als seine Torheiten zu rekapitulieren, sie zu büßen und ein paar neue zu begehen. Es gibt indessen auch andere, denen selbst dies versagt bleibt: "Wir, die wir des Menschseins entwöhnt sind", so sagen sie sich, "gehören wir denn noch einem Stamm, einem Geschlecht, irgendeiner Sippe an? Solange wir noch am Vorurteil des Lebens festhielten, waren wir in einem Irrtum befangen, der uns den anderen gleichstellte - doch wir sind ausgebrochen aus der Gattung Mensch."
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Auf ewig sei der Stern verflucht, unter dem ich geboren wurde, möge keinerlei Himmel ihn schützen, möge er im Raum zerbröckeln und zerstieben! Und jener heimtückische Augenblick, der mich mitten unter die Geschöpfe stieß, möge auch er für immer ausgelöscht sein aus den Verzeichnissen der Zeit!(...)
Dieses verbitterte Verharren in einem Weltall, in dem nichts sich vorhersehen läßt und in dem dennoch sich alles wiederholt - wird es denn niemals ein Ende haben? Wie lange noch wird man sich immer und immer wieder sagen müssen: "Dies Leben, das ich so abgöttisch liebe, ist mir ein Greuel!" Jedes unserer nichtigen Delirien macht aus jedem von uns einen Gott, der einem abgeschmackten Geschick unterworfen ist. Wozu uns noch gegen die Symmetrie dieser Welt auflehnen, wo doch das Chaos selber nur ein System der Unordnung ist? Unser Schicksal will, daß wir gemeinsam mit den Kontinenten und Sternen vermodern, und so werden wir bis ans Ende aller Zeiten wie resignierte Kranke neugierig sein auf die erwartete, schreckliche und nutzlose Lösung des Knotens.

Lehre vom Zerfall 

Sonntag, 23. Dezember 2012

Im Schatten von Thanatos - Teil 1 (von Pan narrans)

 Teil 1: Ein erster Umriss

Die größte Triebfeder für alle Arten von existenziellem Denken ist und war seit jeher die banalste und zugleich bedeutendste Tatsache, vor die jedes reflexive Lebewesen unweigerlich geworfen wird: Dem eigenen Ende.
Während die vielen verschiedenen Kompensationsmöglichkeiten angesichts dieser Tatsache schon beinah zwangsläufig folgen, gilt das für daraus dauerhaft resultierende Erkenntnis nicht unbedingt, zumal eine Möglichkeit der Kompensation schlicht und ergreifend die Verdrängung ist. Diese geschieht öfters in der Form der Trivialisierung- natürlich müssen wir alle einmal sterben, das ist so natürlich, dass es sich nicht lohnt, dem mehr Aufmerksamkeit zu widmen, als etwa dem Akt der Ausscheidung.
Doch wie kann das Ende bedeutungslos sein, ist es doch gerade das, was alle andere als bedeutungslos erscheinen lässt?
Bei einer rationalen Betrachtung des Lebens in seiner Gesamtheit- also einer abstrakten, möglichst emotionslosen Betrachtung- ist der Tod nicht bloß das Ende, sondern zugleich derselbe Zustand, wie er vor der Geburt bestand. Zwar ist auch diese Aussage im Grunde noch Spekulation und ein aufrechter Skeptiker würde ihr wohl niemals so einfach zustimmen; manchmal erscheint aber auch die Urteilsenthaltung des Skeptikers über ein Jenseits eher als letzte, aus Verzweiflung gebaute, Bastion gegen die große Leere. Denn es gibt kaum einen vernünftigen Grund, ein Jenseits, das heißt eine Form von transzendenter Welt, an der unser aus Gehirnzellen hervorgepresstes Bewusstsein ohne seinen Träger Anteil hat, anzunehmen.
Es bleibt dabei: Vom Nichts ins Nichts; dazwischen die kleine, aber unglaubliche Absurdität, die man gemeinhin Leben nennt- ein wertvolles Geschenk, oder eine äußerst makabere Zumutung?
Nach wie vor in einer rational ganzheitlichen Betrachtung klarsichtig innehaltend, erscheint letzteres deutlich zutreffender zu sein. Denn warum dieser Umweg, zumal er auch noch als solcher erkannt wird und zu allem Überfluss auch noch an einen geradezu sadistischen Lebenstrieb gekoppelt ist?
Und doch, bliebe auch nur eines von beidem aus, würde die Zumutung dadurch zum Geschenk? Freilich, der in Verbindung mit Klarsicht erst zu einem Problem führende Lebenstrieb ist nicht dieses eine von beidem. Denn auch ein vollkommen klarsichtiges Wesen, das von jedem Lebenstrieb ungetrübt umgehend ein Ende machen würde, dürfte den Umweg dann wohl doch weniger als Geschenk, denn als sinnlose Unnötigkeit betrachten.
Es bleibt also das Fehlen von Klarsicht, was vielleicht keine sonderlich große Überraschung sein dürfte. Also doch Verdrängung, oder gar Eintauchen in Illusionen, die, aus erkenntnistheoretischer Perspektive, einem morastigen Sumpf, aus lebenspraktischer Sicht aber einem klaren, glitzernden Bach gleichen?
Wäre es für ein klarsichtiges Wesen nicht viel vernünftiger, einen Teil seiner Klarsicht gegen eine Form von unbeschwertem Glück einzutauschen? Dem Primat des Glücksstrebens zu gehorchen, anstatt der Erkenntnis auf düsteren Altären zu opfern?
Vielleicht wäre es das. Doch führt das wieder zu dem Anfang: Dem Ende.
Einmal im Bewusstsein der Vergänglichkeit wirklich eingetaucht, fällt es schwer, davon wieder loszukommen und vielleicht ist dies gar unmöglich- und unnötig.
Vielleicht gibt es unter den vielen verschiedenen Umgangsmöglichkeiten noch etwas anderes, als bloße Verdrängung?
Vielleicht kann man Akzeptanz nicht auch auf eine besondere Form von Verdrängung zurückführen (wie z.B. die Relativierung durch Entpersönlichung)?
Vielleicht ist das alles aber bloß Augenwischerei und nichts anderes, als Illusion, denn die Vergänglichkeit bleibt als Tatsache bestehen, völlig gleich, wie man ihr begegnet, ob sie als beklemmendes Angstgefühl, oder als befreiendes Glücksgefühl erlebt wird. Denn auf einer Metaebene ist dieses Wissen, anders, als das instinktive, nur akut auftretende Todeswissen, beständig abrufbar- wenn es sich denn nicht gerade von selbst abruft.
In dem Fall ist es wahrscheinlich unmöglich; wahrscheinlich gibt es einfach manche Menschen, deren Denken den Tod wirklich verdrängt und kein umfassendes, oder aber häufigeres Bewusstsein von ihm zulässt- und jene anderen, die Kinder von Thanatos, in dessen Schatten sie ewig umherwandeln werden.

Buchempfehlung: Ulrich Horstmann - Ansichten vom Großen Umsonst

 Auszüge aus dem Kapitel "Endmoränen":

Der Funke war schon da; unsere Vorfahren haben ihn über Abertausende von Jahren gehegt, von Generation zu Generation weitergegeben, mühsam Zunder gesammelt und darum angehäuft, gehaucht, geblasen, gebetet - und jetzt knechtet den Menschen das so mühsam entfachte Feuer, versklavt ihn die Glut, und er ist dabei, einen ganzen Planeten zu verheizen, um die Kälte nicht wieder in den Gliedern zu spüren, die ihm zum Herzen kroch, und um die lauernde Angst zu vertreiben. Denn wurde er nicht in eine Mördergrube hineingeboren, in der nur ein Gesetz galt: Töten, um nicht getötet zu werden, kaltmachen, was einen mit seinem stinkenden Raubtieratem anfallen wollte, sich bis an die Zähne rüsten gegen ein blindwütiges Verschlingen und Zerstören, gegen das Aus-dem-Leben-gerissen-werden, an dem einst die Dämonen schuld waren und für das heute Viren, Bakterien oder genetische Defekte geradestehen müssen?
Was blieb uns denn anderes übrig, als dieser Hölle mit der zugleich herrlichsten und verheerendsten aller Waffen entgegenzutreten, mit der wir uns selbsthypnotisch unverwundbar machen und zugleich alles Erbarmen abstreifen konnten: mit der Vision des neuen Garten Eden nämlich, dem eisernen Willen zur Fabrikation des Paradieses und zur Humanisierung der Natur? Jawohl, wir haben dabei den Teufel mit Beelzebub ausgetrieben, wie das dem Strickmuster einer Welt entspricht, von der ein weniger verblendeter Urheber hätte einsehen müssen, daß sie alles andere als makellos war. Jawohl, wir, die wir vergehen "wie Rauch von starken Winden" haben den Spieß umgedreht. Gegen eine Weltunvernunft, die uns überzog mit Hungersnöten, Pestepidemien und Schuldkomplexen, haben wir angedacht, angeforscht, anexperimentiert. Und endlich begriffen, wie man den wissenschaftlichen Geist aus der Flasche befreit und wie man ihn auf beliebige Opfer hetzt. Wir mußten sie loslassen auf die Wirklichkeit, diese Furie des Verschwindens, um uns selbst vor der Auflösung zu schützen. Fressen oder gefressen werden - das Gesetz des Dschungels hat auch die Zivilisation gestiftet, diesen Urwald unserer Wünsche, Begierden und wildwuchernden Hoffnungen. Und es ist das aus uns selbst aufgeschossene Dickicht, in dem der große Mechaniker, Pflanzenzüchter und Tierbändiger, der Medizinmann und Möchtegern-Heiland Erdenkloß sich immer hoffnungsloser verrennt und verirrt.
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Die Tiere und Pflanzen, die früher - auf uns jetzt märchenhaft dünkende Weise - mit uns redeten und verkehrten, haben längst allen Kontakt abgebrochen. Die Wälder sterben lieber, als uns zuzuraunen. Die Luft und das Wasser erwehren sich unser mit schleichenden Giften. Der letzte Gott, der noch zu uns hielt und den wir zum Dank den Allmächtigen tauften, läßt sich verleugnen. Die Götzen stürzen von ihren Altären, kaum daß wir sie mit immensen Kosten installiert und mit selbstmörderischem Werbeaufwand populär gemacht haben. Alle guten Geister haben uns verlassen, und selbst die Erinnerungen zersetzen sich und zerfallen wie das Buchpapier in den Bibliotheken. Wer Augen hat zu sehen, wer Ohren hat zu hören, der muß unsere Welt verloren geben.
Der Augenblick, in dem eben dies geschieht, ist vielleicht der bedeutsamste der Menschheitsgeschichte, die wahre Apokalypse; denn Apokalypse heißt Enthüllung, und mit unserer Bankrotterklärung leisten wir den Offenbarungseid. Zum ersten und einzigen Mal haben wir uns ganz durchschaut, sehen wir uns so, wie wir waren und wie wir sind: Verwüster unserer selbst und unseres Planeten, eine furchtbare Geißel, ein evolutionsgeschichtlicher Spuk, der so schnell verschwinden wird, wie er kam, eine Rotte heilssüchtiger Berserker, hilflos den eigenen Hirngespinsten ausgeliefert, die ihnen immer noch vorgaukeln, sie legten die Fundamente des neuen Jerusalem, als sie schon ihr eigenes Grab schaufelten.
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Wir leben in einer Endzeit, im Präapokalyptikum, in einer Phase möglicher Selbstauslöschung und der entsprechend hysterischen Reaktionen. Angesichts einer Menschheit, die sich anschickt, den Urzustand der Menschenleere wieder herzustellen, versagen die traditionellen Erklärungsmuster in eklatanter Weise, und der Humanismus kann nur noch "verstehen", indem er die Sinnhaltigkeit dieser Revokation überhaupt in Abrede stellt oder sich auf eine hilflose Betriebsunfallmetaphorik zurückzieht.
Derartige Unanfechtbarkeitseinbußen aber stärken ein Denken gegen den menschenfrommen Strich, das vorher unisono als pessimistisch, misanthropisch antihumanistisch an den Pranger gestellt werden konnte, und die Orientierungskrise hat Philosophen wie E.M. Cioran auf den Plan gerufen, der das Paradies ohne Umschweife als "Abwesenheit des Menschen" definiert.
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Seit unserem Ausscheren aus dem Tierreich und der ersten großen Entdeckung des Untiers, der Entdeckung des Todes, haben wir uns als Sterbliche definieren müssen und uns mit der Unsterblichkeit der Gattung über das individuelle, das eigene Verenden hinwegtrösten gelernt. Das aber ist nicht länger möglich. Mit dem Durchbuchstabieren des ABC der Massenvernichtung nach dem zweiten Vorbereitungskrieg sind wir, wie Günter Anders einmal prägnant formuliert hat, vom genus mortalium, vom Geschlecht der Sterblichen also, zu einem genus mortale, einem sterblichen Geschlecht, geworden und leben im Angesicht des Gattungsexitus oder - biologisch gesagt - in Erwartung der Terminierung der menschlichen Keimbahn durch die gegenwärtig existenten Gattungsexemplare selbst.
Homo sapiens stirbt. Wie verhält man sich gegenüber einer sterbenden Spezies? Wie verhält man sich gegenüber der sterbenden Spezies, der man selbst angehört? Es gibt auch hier zwei grundverschiedene, einander ausschließende Möglichkeiten. Entweder man läßt die Wahrheit über den eigenen Zustand nicht zu, setzt auf Rettung in letzter Minute, auf Wundermittel, auf Gesundbeterei und eine humanistische Vernunft, die es in ihrer Verblendung noch fertigbringt, die allgegenwärtigen Todesahnungen als "Lust am Untergang" zu verunglimpfen, oder man öffnet die Augen und anerkennt das Unausweichliche, die Tatsache nämlich, daß wir Geschichte haben, aber keine Zukunft, daß wir waren, aber bald nicht mehr sind.
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Die bitterste aller Wahrheiten - daß wir im Grunde etwas sind, das nicht sein sollte - ist immer noch verfemt. Daran haben die Massengräber nichts zu ändern vermocht, nicht die Hekatomben von erschlagenen, aufgespießten, zerhackten, erschossenen, von Bomben zerfetzten, vergasten, zerstrahlten oder sonstwie mit patriotischem Elan vom Leben zum Tode beförderten Gattungsgenossen, die endlosen Feldzüge, Gemetzel, Völkerschlachten und Ausrottungskampagnen nicht, die Vernichtungslager nicht und auch nicht die Feuerstürme in den Städten. O nein, dieses Wesen, das das Tierreich in einen Schlachthof verwandelt hat und die Flora entweder ausmerzt oder unter seine chemische Knute zwingt, das in Strömen eigenen und fremden Blutes zu waten gewohnt ist und sein Heimatrecht auf diesem Planeten längst verwirkt hat, dieses Wesen denkt gar nicht daran, sich in Frage stellen zu lassen, sondern wippt auf den Hinterläufen und bestätigt sich, von Symposion zu Symposion eilend, seine Unverzichtbarkeit und eine unverwüstliche Humanität, die zu den schönsten Erwartungen Anlaß gebe.
Die anthropofugale Vernunft weiß es besser. Und allein die Tatsache, daß keine Hoffnung mehr ist, vermag sie hoffnungsfroh zu stimmen.
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Uns ist etwas in Scherben gegangen, was keine Reue, keine Umkehr wieder ganz werden läßt, und die einzig vernünftige Reaktion darauf ist nicht Trotz, sondern Trauer und ein melancholisches Sich-Lösen von dem, was unwiederbringlich dahin ist.

Ansichten vom Großen Umsonst

Filmempfehlung: Apocalypse Now

 "Mitten im Wahnsinn des Vietnamkrieges erhält Captain Willard den Auftrag für eine waghalsige Mission: Er soll sich mit einer Hand voll Soldaten zum Lager des sadistischen Colonel Kurtz im kambodschanischen Dschungel durchschlagen. Der brutale Kurtz lässt sich nicht mehr von der Militärführung kontrollieren und richtet von seinem Hauptquartier aus ein unglaubliches Blutbad nach dem anderen an. Willard hat den ausdrücklichen Befehl, den Sadisten zu liquidieren. Auf ihrem Weg begegnet die Truppe dem sonderbaren Colonel Kilgore, der seine Hubschrauberpiloten ihre Attacken zu den Klängen der "Walküre" fliegen lässt. Je tiefer das amerikanische Boot in den Dschungel eindringt, desto blanker liegen die Nerven der Besatzung. Ihre Mission führt die fünf Soldaten geradewegs in die Abgründe der menschlichen Seele.."
 
Apocalypse Now

Zitat

Bald unsinniger Wahn, bald grübelnde Politik hetzt Millionen zu Kriegen aufeinander: dann muß Schweiß und Blut des großen Haufens fließen, die Einfälle Einzelner durchzusetzen, oder ihre Fehler abzubüßen. Im Frieden ist Industrie und Handel tätig, Erfindungen tun Wunder, Meere werden durchschifft, Leckereien aus allen Enden der Welt zusammengeholt, die Wellen verschlingen Tausende. Alles treibt, die einen sinnend, die anderen handelnd, der Tumult ist unbeschreiblich - Aber der letzte Zweck von dem allem, was ist er? Ephemere und geplagte Individuen eine kurze Spanne Zeit hindurch zu erhalten, im glücklichsten Fall mit erträglicher Not und komparativer Schmerzlosigkeit, der aber auch sogleich die Langeweile aufpaßt; sodann die Fortpflanzung dieses Geschlechts und seine Treibens - Bei diesem offenbaren Mißverhältnis zwischen der Mühe und dem Lohn, erscheint uns der Wille zum Leben, objektiv genommen, als ein Tor, oder subjektiv, als ein Wahn, von welchem alles Lebende ergriffen, mit äußerster Anstrengung seiner Kräfte, auf etwas hinarbeitet, das keinen Wert hat.

Arthur Schopenhauer 

Freitag, 21. Dezember 2012

Allgemeiner Hinweis zu den Musik-Links

Wir haben hin und her überlegt, ob wir in diesem Blog auch Musik-Links posten wollen und wenn ja, in welchem Umfang und in welcher Art. Denn es soll natürlich die Philosophie auch weiterhin im Mittelpunkt dieser Website stehen und da Musik nun etwas sehr individuelles ist und sich eigentlich nie grundsätzlich in eine philosophische Strömung einordnen lässt, waren wir uns nicht sicher, ob soche Links ins Konzept passen. Da sich das ganze Blogkonzept aber ohnehin noch in einer experimentellen Phase befindet, haben wir nun mal beschlossen, vorläufig auch Musik-Links mit ins Seitenkonzept einzubinden und da Musik wie gesagt etwas sehr individuelles ist nutzen wir nach dem Motto "wenn dann richtig" auch die volle Bandbreite an Musik aus, die uns gefällt oder als passend in irgendeinem Sinne erscheint. Es wird somit von Indie Rock über Rap bis zu Black Metal alles seinen Weg in den Blog finden, was im allerweitesten Sinne irgendwie ins Konzept passt - eigentlich ist es passender andersherum zu formulieren: Das einzige, was nicht seinen Weg in den Blog findet, ist das thematisch absolut Unpassende. Das Genre jedes verlinkten Songs wird vor dem Link kurz angegeben, so dass man auch bei Unkenntnis des entsprechenden Interpreten eine Ahnung vom Inhalt bekommt und gegebenenfalls auch einfach Nein, Danke sagen kann. In diesem Sinne -

"Music is the strongest form of magic" - Marilyn Manson

Dissection - Starless Aeon

Album: RE-INKAOS
Genre: Melodic Death Metal

 

Zitatensammlung III

Ich gehöre zu einer Generation, die den Unglauben an den christlichen Glauben geerbt und in sich den Unglauben gegenüber allen anderen Glaubensüberzeugungen hergestellt hat. Unsere Eltern besaßen noch den Impuls des Glaubens und übertrugen ihn vom Christentum auf andere Formen der Illusion. Einige waren Enthusiasten der sozialen Gleichheit, andere nur in die Schönheit verliebt, andere glaubten an die Wissenschaft und ihre Vorzüge, und wieder andere gab es, die dem Christentum stärker verbunden blieben und in Orient und Okzident nach religiösen Formen suchten, mit denen sie das ohne diese Formen hohle Bewusstsein, nur noch am Leben zu sein, beschäftigen könnten.
All das haben wir verloren, all diesen Tröstungen gegenüber sind wir als Waisenkinder geboren worden. Jede Zivilisation folgt der inneren Linie einer Religion, die sie repräsentiert: Auf andere Religionen übergehen heißt, diese verlieren und damit letztlich alle verlieren. Wir haben diese eingebüßt und die anderen ebenfalls.
Mithin ist jeder einzelne von uns sich selbst überlassen worden und der Trostlosigkeit, sich am Leben zu fühlen. Ein Schiff scheint ein Gegenstand zu sein, dessen Bestimmung die Seefahrt ist; doch seine Bestimmung ist nicht die Seefahrt, sondern die Einfahrt in einen Hafen. Wir haben uns auf hoher See gefunden ohne die Vorstellung von einem Hafen, in dem wir hätten Zuflucht suchen können. So wiederholen wir auf schmerzliche Art und Weise die Abenteuerformel der Argonauten: Seefahrt tut not, Leben tut nicht not.
Illusionslos leben wir nur vom Traum, der Illusion dessen, der keine Illusion haben kann. Aus uns selber lebend vermindern wir unseren Wert, denn der vollständige Mensch ist der Mensch, der sich nicht kennt. Ohne Glauben haben wir keine Hoffnung und ohne Hoffnung haben wir kein Leben im eigentlichen Sinne. Da wir keine Vorstellung von der Zukunft haben, haben wir auch keine Vorstellung vom Heute, denn das Heute ist für den Tatmenschen nur ein Vorspiel der Zukunft. Der Kampfesmut ist abgestorben mit uns auf die Welt gelangt, denn wir wurden ohne Begeisterung für den Kampf geboren.
 
- Fernando Pessoa

 
Die Bewegung des Weltalls ist die Bewegung aus dem Übersein in das Nichtsein. Die Welt aber ist der Zerfall in die Vielheit, d.h. in egoistische, gegeneinander gerichtete Individualitäten. Nur in diesem Kampf von Wesen, die vorher eine einfache Einheit waren, kann das ursprüngliche Wesen selbst zerstört werden.
 
Die pessimistische Philosophie wird für die anhebende Geschichtsperiode sein, was die pessimistische Religion des Christentums für die abgelaufene war. Das Zeichen unserer Fahne ist nicht der gekreuzigte Heiland, sondern der Todesengel mit großen, ruhigen, milden Augen, getragen von der Taube des Erlösungsgedankens: im Grunde genommen das selbe Zeichen. Die schönste Blüte oder besser: die edelste Frucht der Schopenhauer'schen Philosophie ist die Verneinung des Willens zum Leben. Man wird immer mehr erkennen, daß erst aufgrund dieser Lehre ernstlich davon die Rede sein kann, die Philosophie an die Stelle der Religion treten zu lassen.
 
- Philipp Mainländer

 
Der Mensch gebärdet sich auch dann noch so, als ob er noch immer in ungemütlichen, steinzeitlichen Höhlen wohnte, wenn er schon lange in Palästen zu Hause ist. Er wehrt sich seiner Haut auch dann noch, wenn es weit und breit nichts mehr zu überleben gibt. Er denkt und sinnt weiter, wenn alles schon ausgedacht und ausgesonnen ist. Und - so sehr er die Welt schon mit seiner Wirklichkeit verstellt und vollgestapelt hat - er ist noch immer und mit wachsendem Eifer dabei, Wirklichkeit auf Wirklichkeit zu türmen. Verglichen mit dem Leben auf dem Eis und in den Tundren könnte er nun eigentlich in kurzweiligem Wohlstand leben; aber er verhält sich immer noch so, als ob er sich aus einer unergründlichen Langeweile retten müsste. Was zur Steinzeit lebensnotwendige Unterhaltung war, ist es bis heute geblieben: Wir sehen den Menschen sich wie eh und je vor dem eigenen Abgrund in die sichere Wahnstimmung seiner Wirklichkeit retten.
 
- Alfred J. Ziegler


Creating new people, by having babies, is so much a part of human life that it is rarely thought even to require a justification. Indeed, most people don not even think about whether they should or should not make a baby. They just make one. In other words, procreation is usually the consequence of sex rather than the result of a decision to bring people into existence. Those who do indeed decide to have a child might do so for any number of reasons, but among these reasons can not be the interests of the potential child. One can never have a child for that child's sake. That much should be apparent to everybody, even those who reject the stronger view for which I argue in this book - that not only one does not benefit people by bringing them into existence, but one always harms them.
 
My answer to the question 'How many people should there be?' is 'zero'.
 
- David Benatar

Misanthrop - Was ich hab

Album: Psychogramm
Genre: Rap


Dienstag, 18. Dezember 2012

Zitat

Wenn du viel über den Menschen, über seine besondere Stellung in der Welt nachdenkst, packt dich grenzenloser Gram. Jeden Augenblick inne sein, daß alles, was du tust, Ergebnis des dir eigentümlichen Befindens ist; daß die sinnentleerten, hehren,  gewagten oder grotesken Gebärden, die Gedanken, die Betrübnisse, die Freuden und Zusammenbrüche, die Aufwallungen und Niederlagen sich nur aus deiner einzelnen Daseinsform ergeben und dir, wenn du etwas anderes als ein Mensch gewesen wärst, nicht hätten widerfahren können; immerdar dieser Vereinzeltheit deines Seins eingedenk, von dem Widersinn deines menschlichen Daseins bedrängt zu werden bedeutet, daß du des Menschseins dermaßen überdrüssig geworden bist, daß du dir nur wünschst, alles andere zu werden als ein Mensch. Die allgegenwärtige Obsession der menschlichen Absurdität macht die Existenz zwiefach unerträglich: als biologisch entworfenes und als in menschliche Form abgelenktes Leben. Diese Form ist ein Paradoxon in der Welt. Und die Paradoxie ihrer Daseinsform kam die Menschen teuer zu stehen: Sie büßten sie mit allzu vielen Leiden, unzulässig, in einer selbst unzulässigen Welt.

E.M. Cioran

Buchempfehlung: Arthur Schopenhauer - Aphorismen zur Lebensweisheit

Schopenhauers Philosophie geht davon aus, dass unser ganzes Leben etwas sei, das besser gar nicht wäre. Da wir aber nun einmal sind, müssen wir unsere Jahre bewältigen. 

Kleine Anmerkung meinerseits:
Dieses Buch hätte eigentlich den Untertitel tragen sollen: Wie man es sich in der schlechtesten aller möglichen Welten bestmöglich einrichtet. Das wäre die perfekte Zusammenfassung des Inhalts gewesen.

Aphorismen zur Lebensweisheit

Sonntag, 16. Dezember 2012

Wirklichkeitswahn

Keine Spezies hat je die Oberfläche der Erde so stark verändert, beeinflusst und zerstört wie die Menschheit. Zerstört, entweder um sie auszubeuten oder um neuen Platz zu schaffen für weitere Veränderungen, respektive im Jargon der Spezies Verbesserungen. Die meißten Menschen leben mittlerweile in einer vollgestopften, verstellten und überfüllten Welt voller Erzeugnisse ihrer selbst - Natur gerät mehr und mehr in Vergessenheit. All diese "Werke" entstammen einem dem Menschen ureigenen Wirklichkeitswahn - dem Wahn nämlich, daß die Welt nicht gut genug für ihn ist und er sie dehalb verbessern muß. Was aber hat all der Fortschritt, was haben all jene sogenannten Verbesserungen am Wesen der Menschheit, am allgemeinen Befinden der Spezies geändert? Ich sage: Bestenfalls nichts! Bestenfalls deshalb, weil ich, obwohl es nicht nachzuweisen ist, davon ausgehe, dass der Mensch heutzutage trotz oder gerade wegen aller Fortschritte noch mehr leidet, als es ihm von Natur aus schon bestimmt ist. Zwar sehe ich alles Leben als Verirrung und Fehlentwicklung eines blinden Daseinswillens an, der sich zuerst in anorganischer, dann fatalerweise auch organischer Form manifestiert hat, womit bereits klar wäre, dass das Leben prinzipiell etwas ist, was besser nicht da wäre und somit jeder Mensch unausweichlich zum Leiden bestimmt ist - jedoch bedeutet dies nicht, dass man nicht trotzdem des Schlechten noch mehr erschaffem kann, als schon ist. Und in dieser Disziplin haben die Menschen sich seit jeher selbst übertroffen.
  
Der Begriff der Selbstverwirklichung, welcher im allgemeinen sehr positiv, bei mir jedoch absolut negativ belastet ist, trägt schon den Kern jenes Wirklichkeitswahns in sich, denn Selbst-Verwirklichung schließt immer schon mit ein, dass der Egoismus an erster Stelle steht, die Verwirklichung der eigenen Pläne oberste Priorität genießt und alle eventuellen Folgeschäden an anderen und sogar an sich selbst ignoriert werden. Das geht nun im Alltag jedes noch so unbedeutenden Menschen los, welcher dem Dogma des allgemeinen gesellschaftlichen Selbstverwirklichungszwangs unterliegt und nur an sich selbst, nicht an andere denkt; und summiert sich schließlich zu jenem Gattungsegoismus, der die Menschheit zur Krone zur Schöpfung erhoben hat. Der Grad der individuellen Selbstverwirklichung wird umso fataler, je mehr der Wirklichkeitswahn des Betroffenen über seine eigene Grenzen hinaus auch andere beeinflusst, wie etwa beim Manager eines Weltkonzerns oder beim ranghohen Regierungsmitglied. 

Der umstrittene Künstler Jonathan Meese bezeichnet Adolf Hitler als den größten Selbstverwirklicher aller Zeiten - was nur ein Skandal ist, wenn man, wie die meißten, den Begriff Selbstverwirklichung positiv bewertet. Wenn man aber Selbstverwirklichung als Wahn ansieht, trifft Meeses Behauptung den Nagel auf den Kopf. Denn was Hitlers "Karriere" besonders "auszeichnet" ist, dass er schon vor seiner Wahl zum Reichskanzler überhaupt keinen Hehl aus seinen Zielen gemacht hat, er hat vielmehr ganz offen verkündet, er wolle alle Parteien aus Deutschland hinausfegen, die alleinige Macht übernehmen, den Militärapparat aufrüsten, ein autoritäres Regime errichten, ja selbst über seine Pläne für Andersdenkende und Minderheiten wie insbesondere die Juden sprach er offen. Die theatralische Wirkung seiner Auftritte verstärkt noch den negativen Begriff der Selbstverwirklichung, wenn man bedenkt, dass er all dies später bis zur letzten Konsequenz durchgezogen und sogar noch übertroffen hat, indem er am Ende auch das deutsche Volk vernichten wollte. Vielleicht war es auch gerade sein grotesk übertriebenes Auftreten vor der Machtergreifung, dass in gewissem Maße zu einem "der-kann-das-nicht-ernst-meinen"-Denken verführte und ihn somit bei vielen als Spinner aussehen ließ, der bald von der Bildfläche verschwinden würde. Doch der Selbstdarsteller wurde von der Bühne hinuntergezerrt und auf den Thron verfrachtet, von wo aus er nun seine Wahnideen in die Wirklichkeit umsetzen konnte. Es gab unzählige große Selbstverwirklicher vor und nach ihm - was sie alle vereint ist der fatale Wahn, noch den letzten Gedanken zum Gesetz der Außenwelt machen zu müssen, und der Erflog, den sie damit bei den Massen erzielten.
 
Dem Wirklichkeitswahn entgegenzusetzen ist nur die Erkenntnis, dass unser Leben im Grunde einem Traum gleicht und dass nichts für sich genommen eine objektive Wirklichkeit hat, also immer nur für das Subjekt existiert. Unser Bild von der Außenwelt wird uns über Sensoren vermittelt, die wir Sinne nennen und was wir vor uns sehen, sehen wir bei genauerer Betrachtung nicht vor uns, sondern in uns, also in unserem Gehirn, womit man die Welt schlechthin als Gehirnphänomen bezeichnen kann. Warum also am Traum herumbasteln? Warum das Drehbuch eines Filmes ändern, wenn der Film doch sowieso ein Abbild der Realität ist und nicht mehr, falls es so etwas wie eine objektive Realität überhaupt gibt, was aus unserer subjektiven Sicht weder bewiesen noch abgestritten werden kann. Wieso konnte der Mensch nicht von Anfang an ein simples, schweigsames, zurückhaltendes Leben in der Einöde führen? Wieso mußte er die Welt mit seinen ach so tollen Erzeugnissen zustellen und verschandeln? Weil er der geborene Selbstverwirklicher ist und vom kleinsten bis zum größten Exemplar immer nur ein Ziel kennt: sich der Außenwelt mitteilen, die Welt beeinflussen, sie gestalten... - den Wirklichkeitswahn zur Wirklichkeit machen!

Die guten Seiten der Hölle II - Die Leidenschaft für das Absurde

Je nachdenklicher, tiefsinniger oder auch melancholischer ein Mensch ist, desto stärker ist auch seine Leidenschaft für das Absurde, das Groteske, das Surreale und so weiter. Vielleicht entspringt diese Leidenschaft dem Grundwiderspruch, mit dem diese Menschen leben müssen, nämlich dem Konflikt zwischen dem blinden Willen zum Leben als Triebkraft hinter allen Handlungen und der melancholischen Antriebslosigkeit und Resignation, welche gipfelt in einem Unwillen zum Leben und somit ein unlösbares Problem, eine ewige Reibefläche schafft. Das schmerzende, eintönige und auch langweilige Bild der sich als solche aufdrängenden "objektiven Wirklichkeit" wird verwaschen, verschmiert durch eine andere Realität, nämlich die des Paradoxen, Unlösbaren und Absurden.
 
Dazu E.M. Cioran:
 
Es gibt keinerlei Argumente für das Leben. Kann einer, der das Aüßerste erreicht hat, fortan noch mit Argumenten, Ursachen, Wirkungen, moralischen Betrachtungen umgehen? Gewiß nicht. Jenem bleiben nur noch unmotivierte Gründe, um zu leben. Auf der Verzweiflung Höhe wirft die Leidenschaft fürs Absurde als einzige noch dämonisches Licht auf das Chaos. Wenn alle landläufigen Ideale - ethische, ästhetische, religiöse, soziale - das Leben nicht mehr zu leiten im Stande sind und ihm auch kein Ziel mehr zu setzen vermögen, wie kann das Leben sich dann vor der Nichtswerdung noch bewahren? Nur durch Festhalten am Absurden, durch die Liebe des absolut Sinnlosen, das heißt durch etwas, dem die Konsistenz abgeht, das gleichwohl durch seine Fiktion einen Schein von Leben zu erwecken vermag.
 
Man stelle sich nur eine Welt vor, in der es die Idee der Absurdität, des Surrealismus und des Sinnlosen nicht gäbe, eine Welt, die nur aus empirischer Wahrheit und verifizierbaren Fakten und aus nichts sonst bestünde - während sie das Paradies für einfältige, phantasielose und denkfaule Menschen wäre, würde sie jedem mit auch nur ein wenig Luzidität als eine unerträgliche Hölle erscheinen. Die Liebe zum Absurden läßt sich allerdings glücklicherweise bis ins Unendliche, also bis in den Wahnsinn steigern, was immer eine Fluchttür offen läßt aus dieser lebensfeindlichen, langweiligen und enttäuschenden Realität!

Mittwoch, 12. Dezember 2012

Das innere Chaos

Das innere Chaos ist immer wichtiger und mächtiger als die äußere Ordnung, es wird intensiver erfahren und erlebt als alles andere, was sich als Resultat dessen an der Oberfläche manisfestiert. Wer zu sehr in der Sprache lebt, also der Ordnung der Begriffe verfallen ist, der vergißt, dass Sprache immer nur Mittel und nie Zweck ist. Denn wie könnten denn tausend Begriffe auch nur einer einzigen Empfindung gerecht werden. Schwarz/Weiß-Denken ist immer das Resultat der Verwechslung von Sprache mit Gedanken. Da Sprache immer vereinfacht, tendiert sie zu Verklärungen. Das Resultat ist dann hell gegen dunkel, groß gegen klein oder eben auch Optimismus gegen Pessimismus, Glauben gegen Nihilismus etc. Niemand kann ganz frei von solchem Denken sein, da es in der Natur des Menschen liegt, und auch mir ist schon oft der Fehler unterlaufen, den Großteil der Menschheit über einen Kamm zu ziehen, in eine Schublade zu pressen, wohlwissend, dass dies keinen Sinn macht.
 
Jedoch wird meißtens der Weg des geringsten Widerstandes gegangen und es verlockt eben von der "Masse" zu sprechen, was sicherlich in manchen Fällen auch zutreffend ist, als Pauschalurteil aber nie ganz die Wahrheit trifft, weil es weder die Gläubigen, noch die Ungläubigen; weder die Naiven noch die alles Durchschauenden gibt. Im Kern ist die Menschheit ein Bündel an inneren Chaosen (vermutlich gibt es diese Mehrzahl eigentlich garnicht - jedenfalls nicht in der Sprache), das sich dehnt und zusammenzieht, sich überschneidet und verdrängt. Wäre die Sprache nie erfunden worden, so hätte sich der Mensch allein aufs innere Wachstum beschränken müssen und es hätte nie so etwas wie Geschichte gegeben, was zweifellos ein Segen wäre. Da nun aber die Gesetze des Lebens eine solche Menschenspezies (denn es wäre eine andere Spezies als der homo sapiens) nicht zulassen, hat der Mensch sich aus seinem inneren Chaos herausbegeben und nun steht er da, in seiner Welt aus Definitionen und Begriffen und weiß nicht mehr ein noch aus. Er ist einem Wirkungswahn und Wirklichkeitswahn verfallen, der alles ursprünglich chaotische in eine neuzeitliche Ordnung verpacken muß, wobei diese Neuzeit alle Zeiten seit Beginn der Geschichte erfasst und niemals enden wird - daher auch das ewige Morgenrot der Tätigkeitsmenschen!

Montag, 10. Dezember 2012

Zitatensammlung II

“Each one of us was harmed by being brought into existence. That harm is not negligible, because the quality of even the best lives is very bad—and considerably worse than most people recognize it to be. Although it is obviously too late to prevent our own existence, it is not too late to prevent the existence of future possible people.”  - David Benatar


Most people think life sucks, and then you die. Not me. I beg to differ. I think life sucks, then you get cancer, then your dog dies, your wife leaves you, the cancer goes into remission, you get a new dog, you get remarried, you owe ten million dollars in medical bills but you work hard for thirty five years and you pay it back and then one day you have a massive stroke, your whole right side is paralyzed, you have to limp along the streets and speak out of the left side of your mouth and drool but you go into rehabilitation and regain the power to walk and the power to talk and then one day you step off a curb at Sixty-seventh Street, and BANG you get hit by a city bus and then you die. Maybe. - Denis Leary


We all know the same truth; our lives consist of how we choose to distort it, and that’s it. Everybody knows how awful the world is and what a terrible situation it is and each person distorts it in a certain way that enables him to get through. Some people distort it with religious things. Some people distort it with sports, with money, with love, with art, and they all have their own nonsense about what makes it meaningful, and all but nothing makes it meaningful. These things definitely serve a certain function, but in the end they all fail to give life meaning and everyone goes to his grave in a meaningless way. - Woody Allen


The mass of men lead lives of quiet desperation. - Henry David Thoreau


Most people get a fair amount of fun out of their lives, but on balance life is suffering, and only the very young or the very foolish imagine otherwise. - George Orwell

Buchempfehlung: Ulrich Horstmann - Die Untröstlichen

Es gibt die weitverbreitete Tendenz, Melancholie als alternative Bezeichnung für Niedergeschlagenheit und Depression zu benutzen. Das aber heißt, Klarsicht und Trübsinn in einen Topf zu werfen. Die vorliegende Anthologie möchte diese Begriffsverwirrung korrigieren und Schwermut als eine Geisteshaltung vorstellen, die gerade nicht mit Resignation und Lethargie auf die Vergänglichkeit reagiert. Vielmehr erzeugt das Nicht-festhalten-Können im Melancholiker eine gewisse Überwachheit, eine einzigartige Sensibilität für die Fülle und Schönheit der sich entziehenden Welt. Lebendigkeit und intellektuelle Offenheit werden zum Kennzeichen neuzeitlicher Melancholie-Literatur, deren wichtigste Vertreter hier zu Wort kommen. Mit Texten von Petrarca, Montaigne, Burton, Pascal, Kant, Goethe, Schopenhauer, Leopardi, Kierkegaard, Pessoa, Földényi u.a. 

 Die Untröstlichen

Filmempfehlung: Andrej Tarkowskij - Stalker

Der 1979 entstandene und rätselhafte Film Stalker des russischen Regisseurs Andrej Tarkowskij zählt unwidersprochen zu den Meisterwerken der Filmgeschichte. 

Drei Männer machen sich auf den Weg in die "Zone", um dort nach der Erfüllung ihrer geheimsten Wünsche zu suchen.

Vor zwanzig Jahren verwüstete ein Meteorit eine russische Provinzstadt und deren Umgebung. Reisende verschwanden in der Folge unter mysteriösen Umständen in diesem Gebiet, welches man nur noch als die "Zone" bezeichnete. Und bald machten Geschichten von einem Raum innerhalb der Zone die Runde, von dem man sich sagenhaftes erzählte. Jedem, der sich dorthin vorwagt, würden die geheimsten Wünsche erfüllt werden. Ein erfolgreicher Schriftsteller (Anatoli Solonitsyn) und ein Wissenschaftler (Nikolai Grinko) engagieren den berüchtigten Stalker (Aleksandr Kaidanovsky), einen Führer und Fährtenleser, um sie sicher dorthin zu bringen. Doch zunächst gilt es, die patroullierende Armee und die Grenzposten am Rand der Zone zu überwinden.

Was wie die Exposition zu einem Actionfilm klingen mag, ist bei Tarkowskij lediglich die Ausgangssituation, um den zentralen moralischen Konflikt stärker herauszuarbeiten. Es geht um Menschen, die sich im Leben verirrt haben und sich auf der Suche befinden. Auf der Suche nach etwas anderem, das ihnen die moderne Welt mit all ihrem Zynismus, ihrem Unglauben und der daraus resultierenden Leere nicht bieten kann. Dieses von außen auferlegte Erkenntnisstreben -- stets von Unruhe und Entbehrungen begleitet -- zeichnet sich durch Schmerz und Enttäuschung aus, wird doch die letzte Wahrheit immer unerreichbar bleiben.

Stalker 

Love will save you. But it won't. save. me.


Samstag, 8. Dezember 2012

Zitatensammlung I

 Alles, was irgend zur Welt gehört und gehören kann, ist unausweichbar mit diesem Bedingtsein durch das Subjekt behaftet und ist nur für das Subjekt da. Die Welt ist Vorstellung.

Alles Wollen entspringt aus Bedürfnis, also aus Mangel, also aus Leiden.  

Erst wenn jene einfache und über alle Zweifel erhabene Wahrheit, dass die Tiere in der Hauptsache und im wesentlichen dasselbe sind wie wir, ins Volk gedrungen sein wird, werden die Tiere nicht mehr als rechtlose Wesen dastehen. Es ist an der Zeit, dass das ewige Wesen, welches in uns, auch in allen Tieren lebt, als solches erkannt, geschont und geachtet wird.

Auch wird man einsehn, daß, Dummköpfen und Narren gegenüber, es nur einen Weg gibt, seinen Verstand an den Tag zu legen, und der ist, daß man mit ihnen nicht redet.

- Arthur Schopenhauer 


Statt dass der Mensch eine druchstrahlende Wesenheit, ein sonnenhaftes und funkelndes Dasein anstrebt, anstatt für sich selbst zu leben - nicht im Sinne von Selbstsucht, sondern von innerem Wachstum -, ist er zum sündigen und impotenten Knecht von draußen verfallen.

Um die moderne Welt zum Leben wachzurütteln, muss das Lob der Faulheit angestimmt werden, jener Faulenzerei, die innerliche Gelassenheit und ein alles duldendes Lächeln durchtränken.

Um Alles bringt uns diese Welt mit ihren Fesseln und ihrer stickigen Luft: außer um die Freiheit, Hand an uns zu legen; und diese Freiheit flößt uns eine derartige Kraft und einen solchen Stolz ein, daß wir der Last, unter der wir stöhnen, schließlich Herr werden.

Im Grunde sind alle Ideen falsch und absurd. Es bleiben nur die Menschen, so wie sie sind ... ich bin von jeder Ideologie geheilt.

- E.M. Cioran


„Mondsüchtig“ sind wir alle nur deshalb, weil uns dieser Körper Nacht für Nacht unsere eigene planetarische Zukunft vor Augen stellt und uns die verkratert-leblose Öde am Himmel aufzieht, an der auch die Erde dank unserer Militärs über kurz oder lang teilhaben wird. Beruhigend, sich vorzustellen, daß dann über den unverwüstlichen Astronautenfußstapfen im lunaren Staub ein neuer, größerer Mond aufgehen wird, auf dem die Spuren unserer Gattungsexistenz für immer getilgt sind.
Vom Mond ist der Anblick der Erde erträglich; mehr noch, ein Erdaufgang hat, darf man den mitgebrachten Fotos trauen, etwas rührend Pastorales. Grundlage dieses Affektes allerdings ist nicht, wie man annehmen könnte, ein sozusagen kosmisches Heimweh, sondern im Gegenteil die uneingestandene Erleichterung, entronnen zu sein.

Nacht für Nacht steigt der Mond über den Horizont und stellt uns in schroffer und makelloser Schönheit die irdische Nachgeschichte paradiesisch vor Augen. Ermannen wir uns! Überführen wir sein transzendentales Ideal in die sublumare Wirklichkeit! Vermonden wir unseren stoffwechselsiechen Planeten! Denn nicht bevor sich die Sichel des Trabanten hienieden in tausend Kraterseen spiegelt, nicht bevor Vor- und Nachbild, Mond und Welt, ununterscheidbar geworden sind und Quarzkristalle über den Abgrund einander zublinzeln im Sternenlicht, nicht bevor die letzte Oase verödet, der letzte Seufzer verklungen, der letzte Keim verdorrt ist, wird wieder Eden sein auf Erden

- Ulrich Horstmann

Freitag, 7. Dezember 2012

Buchempfehlung: Philip Mainländer - Philosophie der Erlösung

Auf dem Grunde sieht der immanente Philosoph im ganzen Weltall nur die tiefste Sehnsucht nach absoluter Vernichtung. Es handelt sich nicht darum, ein Geschlecht von Engeln zu erziehen, das dann immerfort existierte, sondern um Erlösung vom Dasein.

 
Philipp Mainländers Philosophie der Erlösung gilt als erste und einzige Metaphysik der Entropie, und das hört sich komplizierter an, als es eigentlich ist. Als direkter Nachfolger Arthur Schopenhauers definiert er dessen blinden Weltwillen als eine art kosmischen Todestrieb, der sich in allem manifestiert, was seit Anbeginn der Zeit existierte und verging und bis zum Ende aller Tage existieren und vergehen wird. Dieser Wille zum Tode entsprang laut Mainländer einem suizidalen Gott, welcher vor dem Universum existierte und seine Existenz auflösen wollte, dies jedoch nicht konnte ohne dabei unsere Welt zu erschaffen, welche die Manifestation seines Sterbens wurde. Kurz gesagt: Unser Kosmos ist ein verwesender Gott - alle Materie befindet sich auf dem Weg vom Übersein (Gott) durch das Sein (unsere Welt) ins Nichtsein (...). Bei der unbelebten Materie zeigt sich der Wille zum Tode offensichtlich durch ewigen Zerfall. Bei Pflanzen tarnt sich der Wille zum Tode bereits als Wille zum Leben, jedoch siegt im Endeffekt dennoch immer der Todestrieb. Bei Tieren und vor allem beim Menschen ist der Todeswille dann endgültig überdeckt vom Lebenswillen, das Mittel wird zum Zweck.

Man kann Mainländer vieles vorwerfen, wenn man will, allerdings nicht mangelnde Konsequenz: Als er die ersten gedruckten Exemplare seiner Philosophie der Erlösung erhalten hatte, stellte er fest, dass sein Leben nun keinen Sinn mehr habe und erlöste sich vom Dasein, indem er sich erhängte.

Da das Buch leider nur noch sehr schwer bzw. sehr teuer zu bekommen ist, kann ich diesmal keinen Link anbieten. 

Donnerstag, 6. Dezember 2012

Die guten Seiten der Hölle - Vom Vorteil, Pessimist zu sein

Der Grundton dieser Website ist ein naturgemäß (im doppelten Sinne) dunkler und düsterer, damit aber neben jenem tiefen Bass der luziden melancholischen Hoffnungslosigkeit auch eine helle, melodiöse Violine mitklingt, werde ich hin und wieder unter dem Motto "Die guten Seiten der Hölle" das beleuchten, was auch dem schwärzesten Denken entkommt und das Leben trotz allem lebenswert macht. Denn es ist ja nicht so, dass pessimistische Philosophen und dergleichen Existenzen den ganzen Tag traurig in einem dunklen Keller über die Sinnlosigkeit des Daseins weinen. Denn "dem Wilen zum Leben ist das Leben gewiß" und da wir nun alle im Kern unseres Wesens nicht nur diesen Willen haben, sondern nichts anderes als dieser Wille sind, bleibt immer - egal wie sehr man auch den Schleier der Maja durchschaut hat - das Streben nach Leben am leben.
 
Dieser erste Beitrag zum Thema "Die guten Seiten der Hölle" beleuchtet kurz zusammengefasst einige Vorteile, Pessimist zu sein.
 
1. Die Beinahe-Resistenz gegen Enttäuschungen: Wer von der Welt im Ganzen und vom Leben im Speziellen prinzipiell enttäuscht ist, der bringt keine oder zumindest kaum mehr Enttäuschung auf, wenn die Dinge wieder einmal nicht so laufen, wie sie laufen sollten, wenn das erstrebte Ziel beim scheinbaren Erreichen wieder einmal um ein paar Kilometer nach vorne verschoben wird, wenn eine Sache, die als sicher und beständig angesehen wurde, urplötzlich zusammenbricht, wenn Politiker nach der Wahl ihre Versprechen nicht halten, die große Reform doch wieder im Keim erstickt wird, die Menschheit wieder nichts aus ihren Fehlern gelernt hat und so weiter. All dies ist nur dann enttäuschend, wenn man von der falschen Grundannahme ausgegangen ist, die man auf verschiedene Arten formulieren kann, zum Beispiel: Die Dinge müssen so laufen, wie wir uns das vorstellen oder Die Menschen sind prinzipiell gut, ehrlich, vernünftig und vertrauenswürdig oder ganz allgemein Das Leben ist da, um glücklich zu sein. Wer jedoch diese optimistischen und grundfalschen Erwartungen überwunden hat, den kann fast nichts mehr erschüttern, weil er nichts anderes mehr erwartet.
 
2. Der Umgang mit Schicksalsschlägen: Während unter Punkt 1 von den kleineren Enttäuschungen des Lebens die Rede war, gegen die man durch den Umständen angepasstes pessimistisches Denken beinahe resistent werden kann, sieht es beim zweiten Punkt etwas anders aus: Gegen große, herbe Schicksalsschläge wie die Diagnose einer schweren Krankheit oder den Verlust eines geliebten Menschen kann auch der abgeklärteste und unerschütterlichste Pessimist nicht immun werden, da wie oben beschrieben der Wille zum Leben immer bestehen bleibt, wenn auch noch so verschüttet unter den Trümmern der Resignation und Verzweiflung, und somit ein schwerer Schlag auch ihn zu Boden wirft. Jedoch wird, behaupte ich, auch mit Ereignissen dieser Schwere und Tragik der pessimistisch-melancholische Geist besser umzugehen wissen, als der ewig heitere, lebensbejahende Optimist. Denn auch wenn ein Schicksalsschlag besonderer Größe auch von ihm zunächst als furchtbar, ungerecht und enttäschend wahrgenommen wird und das altbekannte "Warum Ich?" angestimmt wird, kommt schon bald die alte, verschüttete Erkenntnis wieder an die Oberfläche, dass die Welt eben so ist, dass das Unglück, auch das schwere, in der Natur alltäglich ist und das sich die Frage "Warum ich?" ganz einfach beantworten lässt mit: "Weil ich lebe"! Denn seit gelebt wird, wird auch gelitten, ja - im Grunde ist der Inhalt unseres ganzen Daseins Entbehrung, Not, Kampf, Schmerz und Leiden. Die Frage nach dem Grund für das subjektive Leiden (die warum ich Frage) erübrigt sich durch die Erkenntnis, dass wir alle zum Leiden verdammt sind und furchtbare und schreckliche Schicksalsschläge im Minutentakt die globale Folterkammer "Erde" erschüttern, von der Familie, die in einem Sekundenbruchteil bei einem Verkehrsunfall ausgelöscht wird über die unheilbare Krebserkrankung, die bei einem Kind diagnostiziert wird bis zum Flugzeugabsturz, bei dem Dutzende Existenzen mit einem Schlag ausgelöscht werden. Die Liste fortzusetzen würde jeden Rahmen sprengen, insbesondere wenn man noch die Tierwelt mit einbeziehen würde - jede Sekunde schlägt hundertfach die letzte Stunde. Deshalb erkennt das Individuum, das eine an diese Tatsachen angepasste Weltsicht hat, sein Schicksal als nichts anderes an, als das was von der Natur gewollt wird, manifestiert in ungezählten Tragödien seit Anbeginn des Lebens.
 
3. Die kleinen Freuden des Lebens: Es mag paradox klingen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass pessimistisch denkende Menschen (jedenfalls philosophisch pessimistische) die kleinen Freuden des Lebens mehr genießen können als die dem gesunden Optimismus verfallenen Massen. Denn gerade durch die manchmal überwältigende (im negativen Sinne) Klarsicht auf die Qual und das Leiden des Daseins, freut man sich um so mehr wenn man - und sei es nur für ein paar Minuten - sich an einer Kleinigkeit, einem glücklichen Zufall oder einer besonderen Begebenheit erfreuen kann. Es ist im allgemeinen festzuhalten, dass Pessimisten weitaus sensiblere Menschen sind als der verrohte Durchschnitt, denn wie könnten sie sonst all das wahrnehmen, was die große Herde übersieht. Die gute Seite dieser Übersensibilität ist eben, dass sie auch in die positive Richtung wirkt, was sich in der größeren und intensiveren Freude über die kleinen Dinge bemerkbar macht, welche von der großen Mehrheit der Mitmenschen entweder überhaupt nicht wahrgenommen oder aber als unwichtig und nebensächlich abgetan, im besten Falle einer kurzen Aufmerksamkeit gewürdigt und dann vergessen werden!

Buchempfehlung: Ulrich Horstmann - Das Untier

Als Ulrich Horstmanns Streitschrift Das Untier - Konturen einer Philosophie der Menschenflucht auf den Markt kam, löste es eine Welle der Empörung aus, die in Vorwürfen gipfelten, wie etwa das Buch sei "schlimmer als 'Mein Kampf'" und in den Köpfen einiger Rezensenten sogar die Frage aufsteigen ließ, "wann Herr Horstmann zuletzt seinen Nervenarzt besucht" hätte. Nun, man kann diese verstörten Reaktionen insofern verstehen, weil in diesem Werk die "Abschaffung des Menschen" nicht etwa nur diskutiert oder als Möglichkeit in den Raum gestellt, sondern eiskalt und mit aller Konsequenz gefordert, ja sogar als der einzige mögliche (Aus)Weg der Menschheit bezeichnet wird.

Der Nazi-Vergleich aus der Presse war absurd, wurde von Horstmann zurecht vehement zurückgewiesen und muss überhaupt nicht weiter kommentiert werden. Der Vorschlag, zum Nervenarzt zu gehen, ist ebenfalls nicht stichhaltig, da der Autor mit jedem Kapitel, jedem Absatz plausible Argumente für seine Forderung liefert. Der einzige Vorwurf, der wohl nie ganz aus der Welt zu schaffen sein wird, ist jener, dass es sich bei diesem Buch um eine reine Satire handelt. Da Horstmann dies wohl vorausgeahnt hat, spielt er im Buch selber mit dem Thema, indem er in einer kurzen Vorbemerkung durchblicken lässt, es könnte sich hier um Satire handeln, später im Buch aber jeden Satirevorwurf entschieden zurückweist!

Zitat:

Die Apokalypse steht ins Haus. Wir Untiere wissen es längst und wir wissen es alle. Hinter dem Parteiengezänk, den Auf- und Abrüstungsdebatten, den Militärparaden und Antikriegsmärschen, hinter der Fassade des Friedenswillens und der endlosen Waffenstillstände gibt es eine heimliche Übereinkunft, ein unausgesprochenes großes Einverständnis: daß wir ein Ende machen müssen mit uns und unseresgleichen, so bald und so gründlich wie möglich - ohne Pardon, ohne Skrupel und ohne Überlebende.

Das Untier - Konturen einer Philosophie der Menschenflucht 

Mittwoch, 5. Dezember 2012

Buchempfehlung: David Benatar - Better never to have been

David Benatars Buch Better never to have been - The harm of coming into existence ist wohl eines der radikalsten und konsequentesten Bücher, dass je über das Thema Antinatalismus geschrieben wurde. In einer sehr trockenen und wissenschaftlichen Sprache legt der Autor ausführlich dar, warum es für jeden von uns besser wäre, nicht auf der Welt zu sein. Dieses Buch ist daher jedem zu empfehlen, der mit Philosophie im eigentlichen Sinne nicht  so viel anfangen kann und sich dem doch sehr schwierigen Thema lieber von einer nüchternen, wissenschaftlichen Seite nähern will. Wenn Benatar allerdings mit seinen Diagrammen und Vergleichstabellen (X exists - X never exists) argumentiert, hat man manchmal das Gefühl, der Mann redet von Steinen und nicht von Menschen. Soll heißen, für meinen ganz persönlichen Geschmack ist das Buch etwas zu nüchtern und sachlich geschrieben. Vielleicht bin ich aber auch einfach durch die sprachliche Genialität eines Cioran oder Schopenhauer mittlerweile zu verwöhnt. Ich muß allerdings ehrlicherweise hinzufügen, daß dieser Eindruck eventuell auch dadurch verstärkt wird, dass das Buch in englischer Sprache geschrieben ist und man in seiner Muttersprache immer flüssiger ließt, auch wenn man gute Englischkenntnisse hat (welche übrigens logischerweise Voraussetzung dafür sind, dieses Buch zu lesen, denn es wurde bisher nicht übersetzt).

Dazu kommt noch, dass man dem Autor anmerkt, dass er sich wohl schon sehr häufig für seine Ansichten rechtfertigen mußte. Man hat das Gefühl, dass er sich während des Schreibens sehr in der Defensive befunden hat, da er sich quasi ständig rechtfertigt. Das mag für einen pronatalistisch oder skeptisch eingestellten Leser sogar passend sein - wenn man allerdings wie ich schon nach dem Lesen des Titels weiß, dass man mit dem Autor höchstwahrscheinlich einer Meinung sein wird, kommt einem diese Defensivhaltung schon etwas seltsam vor, man möchte ihm sagen: Ist doch alles ganz klar. Brauchst dich nicht so ausführlich zu rechtfertigen. Wer allerdings gerne sieht, wie Gegenargumente zerpflückt werden, bevor sie jemand anderes aussprechen kann, ist hier auch richtig.

Obwohl ich also aus den genannten Gründen eine etwas zwiespältige Einstellung zum Stil des Buches habe, ist es inhaltlich dennoch zu empfehlen, insbesondere wenn man wissenschaftliche Beweise über philosophische Nachweise stellt.

Better never to have been - The harm of coming into existence

Das Glücksphantom - Von positivem Schmerz und negativer Freude

Jedes Glück ist negativ, jeder Schmerz ist positiv! Gegen diese Feststellung sträubt sich - zurecht - erstmal alles. Das liegt zum einen daran, daß der Mensch so nicht denken will, zum anderen aber auch an einem sprachlichen Mißverständnis. Denn mit "positiv" ist hier nicht gut, schön, erstrebenswert gemeint, und "negativ" bedeutet nicht "schlecht, schlimm, zu vermeiden". Die Begriffe stehen hier vielmehr dafür, ob ein Gefühl direkt, unmittelbar und sozusagen "aufdringlich" erfahren wird (also positiver Natur ist) oder ob es nur indirekt, mittelbar und durch die Abwesenheit von etwas anderem erfahren wird (also negativer Natur ist).

Wenn man unter diesem Gesichtspunkt die Aussage: Jedes Glück ist negativ, jeder Schmerz positiv, noch einmal unter die Lupe nimmt, steht sie in einem deutlich glaubhafteren und logischeren Lichte da, als zuvor. Dies nachzuweisen, bedarf es keiner hochtrabenden Philosophie, sondern es reicht ein Blick in den Alltag eines jeden Menschen. Während jede Form von Schmerz stets positiver Natur ist, indem der Schmerz direkt und unmittelbar empfunden werden muß, weil er sich aufdrängt und nicht zu ignorieren ist, ist das Glück in so gut wie allen Fällen nur negativer Natur, zeichnet sich also durch die Abwesenheit von Schmerz aus. Schmerz meint hier nicht nur körperlichen Schmerz, sondern auch seelischen und psychischen Schmerz, genau so wie jedes Bedürfnis, jede Not, welche im Innersten ihres Wesens immer auch Schmerz ist, weil sie einen Mangel darstellt, der behoben werden muß. Ist der Mangel behoben, tritt Befriedigung, Glück, Freude ein - jedoch mußte diese erkauft werden durch ein unverhältnismäßig hohes Maß an Schmerz.

Selbstredend beweist die Lebenserfahrung eines jeden (wenn er denn fähig zur Selbstreflexion ist) zudem, daß das so erworbene Glück niemals lange anhält - schon nach kurzer Zeit wird es durch einen neuen Wunsch, einen neuen Mangel, ein neues Bedürfnis ersetzt und das Spiel beginnt von vorne. Die wenigen Momente des scheinbaren Glückes raubt schnell eine andere Form von Schmerz - die Langeweile. Denn sie ist es, die uns mit lauter, höhnisch lachender Stimme zuruft: Dein Leben ist nichts anderes als ein ewiges Hinterherjagen dem Glücke nach! So stellt sich in der Tat das Leben dar als ein tragisches Schauspiel, da das scheinbare potentielle Glück immer neue Masken aufsetzt und der Mensch gar nicht anders kann, als mitzuspielen, weil er nun einmal blinder Wille zum Leben ist, obwohl dessen einziges tatsächliches Verdienst immer nur ist, jenes Leben selbst am Leben zu erhalten, während das Individuum verzweifelt nach einem Sinn sucht.

Dienstag, 4. Dezember 2012

Jenseits der ewigen Morgenröte

Jenseits der ewigen Morgenröte des Fortschrittsdenkens, jenseits der Durchhalteparolen und Trostpflaster des gesunden Optimismus gibt es eine andere, tiefere Wahrheit. Dort liegt eine Welt des nüchternen, unvoreingenommenen Blicks auf die Dinge, wie sie sich darstellen, wenn wir uns einmal nicht einbilden, die Welt sei ein Ort, der da ist um darin glücklich zu sein. Die meißten Menschen wenden sich ab, noch bevor sie die Konturen jener Welt richtig wahrnehmen, denn was sie dort zu sehen bekommen harmoniert so überhaupt nicht mit dem Blick durch die rosarote Brille, an den sie sich ihr ganzes Leben lang gewöhnt haben. Und wenn sie sich wieder zurückgezogen haben in die antrainierte Sichtweise, raubt ihnen die überwältigende Mehrheit der rosa Brillenträger um sie herum auch die letzte Erinnerung an den kurzen Blick in den Abgrund - man ist sich schließlich einig.

Auf dieser Website hat die Mehrheit keine Mehrheit. Hier sprechen Menschen, die nicht nur die Konturen jener mysteriösen, dunklen Welt entziffert haben, sondern sich voll und ganz auf den Abstieg in die letzten Winkel der bodenlosen Wirklichkeit begeben haben. Hier gibt es keine Zwischenrufe der ewigen Besserwisser, die sich ihrer Sache so sicher sind, und sollten sie doch in den Kommentaren auftauchen, so werden sie nicht ignoriert und pathologisiert - wie es ihrerseits die Gangart gegen uns ist - sondern sie werden mit dem gehörigen Respekt aber gleichzeitig auch dem nötigen, radikalen Widerspruch behandelt. Denn hier gilt die Melancholie als das, was sie tatsächlich ist - die einzig angebrachte Sichtweise auf die schlechteste aller möglichen Welten. Hier wird die schmerzende Wahrheit über die Welt des Leidens, der Ungerechtigkeit, des Zerfalls und des ewigen Sterbens in der wir leben nicht pathologisiert sondern propagiert.

Buchempfehlung: E.M. Cioran - Vom Nachteil, geboren zu sein

E.M. Cioran versteht es wie kaum ein anderer, den im Titel angesprochenen Nachteil, geboren zu sein aus einer ganz subjektiven Sichtweise zu unterstreichen. Die Aphorismen in diesem Buch sind meißt sehr kurz gefasst, dennoch sagen sie oft mehr als... genug.

Zitate:

Es gibt in der Tatsache, geboren zu werden, einen solchen Mangel an Notwendigkeit, daß man, wenn man einmal mehr als gewöhnlich darüber nachsinnt, mit einem dümmlichen Lächeln dasteht, weil man nicht weiß, wie man sich verhalten soll. 

Sich in sich zurückziehen und dort ein Schweigen wahrnehmen, das so alt ist wie das Sein, sogar noch älter. 

Man sehnt sich nach dem Tod nur bei unbestimmtem Unbehagen; man flieht ihn beim ersten präzisen.

Wir haben die Demütigung des Geborenwerdens noch nicht verdaut.

Man sollte sich jeden Tag sagen: Ich bin einer von denen, die sich zu Milliarden auf der Oberfläche des Erdballs schleppen. Einer von denen und nichts sonst. Diese Banalität rechtfertigt jedwede Folgerung, jedwedes Betragen oder Handeln: Ausschweifung, Keuschheit, Selbstmord, Arbeit, Verbrechen, Faulheit oder Rebellion... Woraus folgt, daß jeder Recht hat, zu tun, was er tut. 

Vom Nachteil, geboren zu sein 

Buchempfehlung: Arthur Schopenhauer - Die Welt als Wille und Vorstellung

Schopenhauers Hauptwerk ist zweifellos der Urknall dessen, was heute als philosophischer Pessimismus bezeichnet wird und gleichzeitig eine der unumstößlichsten Begründungen für die antinatalistische Weltanschauung. "Die Welt als Wille und Vorstellung" liefert sowohl eine erkenntnistheoretische Welterklärung, als auch die entsprechende Schlussfolgerung dazu. In der hier verlinkten Gesamtausgabe sind zudem noch die "Ergänzungen" enthalten, welche mehrere hundert Seiten umfassen und genau so lesenswert sind wie das Hauptbuch.

Zwei Zitate:

Im unendlichen Raum zahllose Kugeln, auf denen ein Schimmelüberzug lebende und erkennende Wesen erzeugt hat - dies ist die empirische Wahrheit, das Reale, die Welt. Jedoch ist es für ein denkendes Wesen eine mißliche Lage, auf einer jener zahllosen Kugeln im grenzenlosen Raum zu stehen, ohne zu wissen woher noch wohin, und nur eines zu sein von unzählbaren ähnlichen Wesen, die sich drängen, treiben, quälen, rastlos und schnell entstehend und vergehend, in anfangs- und endloser Zeit.

Daß Tausende in Glück und Wonne gelebt hätten, höbe nie die Angst und Todesmarter eines Einzigen auf: und ebensowenig macht mein gegenwärtiges Wohlsein meine frühern Leiden ungeschehen. Wenn daher des Übeln auch hundert mal weniger auf der Welt wäre, als der Fall ist, so wäre dennoch das bloße Dasein desselben hinreichend, eine Wahrheit zu begründen, welche sich auf verschiedene Weise, wiewohl immer nur etwas indirekt ausdrücken läßt, nämlich, daß wir über das Dasein der Welt uns nicht zu freuen, vielmehr zu betrüben haben - daß ihr Nichtsein ihrem Dasein vorzuziehen wäre, daß sie etwas ist, was im Grunde nicht sein sollte.

Die Welt als Wille und Vorstellung - Gesamtausgabe