Montag, 31. Dezember 2012

Buchempfehlung: E.M. Cioran - Die verfehlte Schöpfung

Auszüge aus dem Kapitel "Der böse Demiurg":
 
Es ist schwer, es ist unmöglich zu glauben, daß der gute Gott, der "Vater" mit dem Skandal der Schöpfung etwas zu tun hatte. Alles drängt zum Gedanken, daß er nichts dafür kann, daß sie auf einen anderen, skrupellosen Gott, einen korrumpierten Gott weist. Die Güte schafft nicht, ihr mangel es an Phantasie; deren bedarf es aber, um eine Welt herzustellen, wie hingepatzt sie auch sei. Notfalls mag eine Tat oder ein Werk aus der Mischung von Güte und Bosheit entstehen. Oder ein Weltall. Vom unsrigen aus ist es jedenfalls bedeutend leichter, auf einen anrüchigen als auf einen ehrenwerten Gott zu tippen.
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Wir können nicht umhin zu denken, daß die im Zustand des Entwurfs gebliebene Schöpfung nicht abgeschlossen werden konnte und es auch nicht verdiente und daß sie insgesamt ein Fehler ist. Der berühmte Fehltritt, den der Mensch begangen hat, erscheint somit als die verkleinerte Fassung einer weit schwereren Untat. Worin besteht unsere Schuld, wenn nicht darin, daß wir mehr oder weniger dienstfertig dem Beispiel des Schöpfers gefolgt sind? Sein Verhängnis erkennen wir sehr wohl in uns: nicht umsonst kommen wir aus den Händen eines unglücklichen und bösen Gottes, eines verfluchten Gottes.
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Wir alle haben sie geerbt, die Unfähigkeit, bei sich zu bleiben, von welcher der Schöpfer eine so bedauerliche Demonstration geboten hat: Zeugen, das heißt, auf andere Weise, in anderer Größenordnung das Unternehmen fortsetzen, das seinen Namen trägt, es heißt, aus beklagenswerter Nachäffung seiner "Schöpfung" etwas hinzufügen. (...) Die Lepra ist ungeduldig und gierig, sie liebt es, sich auszudehnen. Es ist wichtig, die Fortpflanzung zu entmutigen, denn die Furcht, daß die Menschheit erlösche, hat keine Grundlage: was auch geschieht, es wird immer genug Blöde geben, die nichts besseres wünschen, als sich fortzusetzen, und wenn selbst sie sich schließlich entziehen, so wird sich immer irgendein widerliches Paar finden, das sich dafür opfert. Es geht nicht so sehr darum, den Hunger aufs Leben zu bekämpfen, als die Lust auf "Nachkommenschaft". Die Eltern, die Erzeuger, sind Provokateure oder Irre. Daß noch die letzte Mißgeburt die Gabe besitzt, Leben zu geben, "auf die Welt zu bringen" - gibt es Demoralisierenderes? Wie kann man ohne Entsetzen und Abscheu an dieses Wunder denken, das aus dem nächsten besten einen Kleindemiurgen macht? Was ebenso außerordentlich sein sollte wie das Genie, ist ohne Unterschied allen gegeben: ein anrüchiges Geschehen, das die Natur auf alle Zeiten disqualifiziert.
Die kriminelle Aufforderung der Genesis: "Wachset und mehret euch", konnte nicht aus dem Munde des guten Gottes gekommen sein. Seid selten, hätte er vermutlich empfohlen, wenn er mitzureden gehabt hätte. Niemals hätte er ferner jene unheilvollen Worte hinzufügen können: "Und macht euch die Erde untertan". Man sollte sie sogleich ausmerzen, um die Bibel von der Schmach zu reinigen, sie aufgenommen zu haben. (...) Die Welt ist nicht in Freude erschaffen worden. Doch zeugt man im Genuß. Gewiß, aber der Genuß ist nicht die Freude, er ist deren Trugbild. Seine Funktion ist, zu mogeln, uns vergessen zu lassen, daß die Schöpfung bis in jede Einzelheit das Siegel jener ursprünglichen Trauer trägt, aus der sie entspringt. Die Lust ist wesentlich Betrug und erlaubt uns, zu leisten, was wir theoretisch ablehnen, verdammen. Ohne ihre Hilfe würde die Enthaltsamkeit Terrain gewinnen und selbst die Ratten verführen.
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Aphorismen aus dem Kapitel "Erwürgte Gedanken":
 
Ich kann nichts unternehmen, wenn ich nicht von dem, was ich weiß, absehe. Sobald ich es ins Auge fasse und daran denke, sei es auch nur eine Sekunde, verliere ich den Mut, löse ich mich auf.
 
Leiden heißt Erkenntnis produzieren.
 
Ganze Tage hindurch Lust, ein Attentat gegen die fünf Kontinente durchzuführen, ohne einen Augenblick lang an die Mittel zu denken.
 
Schauen sie sich die Fresse des Menschen an, der auf irgendeinem Gebiet Erfolg hatte, der sich abgemüht hat. Sie finden da nicht die mindeste Spur von Mitleid. Er ist der Stoff, aus dem ein Feind gemacht ist.
 
Geschwätz ist jede Konversation mit einem, der nicht gelitten hat.
 
Die Tiere, die Vögel, die Insekten haben alles seit jeher gelöst. Warum sie übertreffen wollen? Die Natur widerstrebt der Originalität, sie lehnt den Menschen ab, verabscheut ihn.
 
Was mich hindert, in die Arena zu steigen, ist, daß ich dort zuviele Geister gewahre, die ich bewundere, aber nicht achte, weil sie mir so naiv vorkommen. Warum sie herausfordern, warum mich mit ihnen auf der gleichen Piste messen? Meine Mattheit schenkt mir eine solche Überlegenheit, daß sie mich, so scheint's mir, niemals einholen können.
 
Der Mensch, dieser Ausrotter, hat etwas gegen alles, was lebt, gegen alles, was sich bewegt: bald wird man von der letzten Laus reden.
 
Solange man irgendwem, und sei es einem Gott, seinen Erfolg neidet, ist man ein elender Sklave wie alle.

Die verfehlte Schöpfung 

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