Es ist mittlerweile eine weitläufig verbreitete Ansicht, dass die sogenannte Depression eine Krankheit der Moderne ist, eine Ausgeburt der kapitalistischen Wahnsinns-Gesellschaft, in der wir unbestreitbar leben, und dass es sie "früher" nicht gegeben hat. Ich halte diese Ansicht für zugleich wahr und unwahr, weil sie eine entscheidende Komponente ausser Acht lässt, nämlich die Unterscheidung zwischen Melancholie und Depression.
Der Geisteszustand der Depression an sich ist ganz sicher nicht einfach nach der Erfindung des Fließbands in die Welt gefallen, weil sich das Tempo des Lebens plötzlich exponentiell vervielfacht hat. Vielmehr ist dies der Punkt, an dem die oben angedeutende wichtige Unterscheidung ins Spiel kommt:Melancholie, in früheren Zeiten auch oft als Schwermut oder "schwarze Galle" bezeichnet, ist ein Geisteszustand der Verlorenheit, Hoffnungslosigkeit, Einsamkeit und Resignation, allerdings auch der erhöhten Selbstreflexion und des konstanten Zweifelns und Ver-Zweifelns an der Welt. Ein melancholisch veranlagter Mensch wird kaum für die "höheren Ziele", all die Utopien und Ideale, welche sich das Menschengeschlecht seit jeher in Hülle und Fülle ausgedacht hat, zu begeistern sein, weil er überall den Modergeruch der Lüge und des zum Universalgesetz erhobenen Selbstbetrugs wittert. Ferner wird ihm ein Blick auf die Geschichte des Fell verlierenden Affen genügen, um zu erkennen, was wirklich bei all den Reparadiesierungsmaßnahmen der Optimisten herauskommt, nämlich Krieg, Folter und Elend.
Melancholie ist also im wesentlichen ein Geisteszustand der Klarsicht auf die weltlichen Ereignisse. Darüber hinaus kennt der Melancholiker aber auch ganz genau seinen Platz im Universum. Er weiß, dass er nur ein verschwindend kleines Individuum in endlosem Raum und endloser Zeit ist, gebunden an einen Körper, der langsam zerfällt und schließlich im Tod enden und somit alles Erreichte zunichte machen wird, in einer kurzen Lebensspanne unzähligen Trieben und Wünschen ausgesetzt, die immer nur scheinbar erfüllt werden, weil sie sich stets wieder erneuern. Ferner ausgesetzt der Langeweile, wenn alle Wünsche zeitweilig erfüllt sind und zudem unzähligen Leiden wie Krankheit, Schmerz und Verlust, denen er niemals ganz entkommen kann.
Es wäre geradezu Irrsinn diese "Weltanschauung" als ein Produkt der Moderne anzusehen, was ja schon alleine durch unzählige Aufzeichnungen aus der Vergangenheit widerlegt wird. Aber auch ohne diese Aufzeichnungen (zum Beispiel: The Anatomy of Melancholy) erschließt sich jedem Denker, dass es keinen Grund gibt, davon auszugehen, dass sich nicht auch schon im antiken Griechenland und in den öden Steppen des vorgeschichtlichen Europas der eine oder andere schwermütige Homo sapiens durchs Leben geschleppt hat. "Der eine oder andere", weil diese, ich nenne es jetzt einmal etwas provozierend "Gabe", in früheren Zeiten nur wenigen zufiel und man kann wohl vermuten: je weiter man in der Geschichte zurückblickt, desto weniger dürften es sein.
Man kann die ganze Menschheitsgeschichte betrachten als eine Form der Umsetzung des universellen Gesetzes der Schwächung der Kraft (Entropiegesetz), konkret formuliert einer Schwächung des Lebenswillens und einer Stärkung des Geistes. Im Tier ist der Lebenswille noch ungebrochen und vollständig vorhanden, das Tier ist reiner Lebenswille. Sobald jedoch die Grenze zum Bewußtsein überschritten wird, setzt bereits eine leichte Schwächung des Willens ein - die urzeitlichen Menschen waren noch fast vollständig ungespaltener Wille zum Leben, jedoch drangen schon die ersten Schwächungen durch eine leichte Selbstreflexion und erste Gedanken in den Lebenswillen ein. Je mehr sich nun die Menschheit kultivierte und somit weit mehr Objekte des Wollens als nur "überleben wollen" ins Spiel kamen, umso mehr zersplitterte und verfeinerte sich der ursprünglich einförmige Wille in verschiedenste Richtungen. Jetzt war es zum Beispiel für einen Steinzeitmenschen wichtiger, eine Höhlenmalerei fertigtzustellen als jagen zu gehen, weil sein Geist gestärkt und sein Wille, durch die Aufsplitterung in eine kulturelle und künstlerische Richtung, geschwächt wurde.
Diese Entwicklung der Menschheit nun im Detail durchzugehen, würde zu weit führen. Anhand der gegebenen Richtung und den genannten Beispielen, dürfte der Rest auch ohne weitere Erläuterungen jedem einleuchtend sein. Offensichtlich hat ein Mensch im antiken Griechenland einen stärkeren Geist, aber einen schwächeren Willen als ein Urzeitmensch, weil sich seine Wille auf wesentlich feinere und subtilere Ziele streuen musste. Entscheidend ist hierbei lediglich, dass es sich letzten Endes um eine kontinuirliche Abwärtsspirale handelt, denn der Wille zum Leben, nicht der Geist des Menschen, ist die ursprüngliche Kraft des Lebens und wenn jene Urkraft beständig geschwächt wird, weil immer mehr Zersetzung durch geistige Aktivitäten erfolgt, handelt es sich hier unvermeidlich um einen Zerfall.
Jener Zerfall ist es nun, welcher, obwohl eigentlich offensichtlich vorhanden, nur von wenigen Menschen erkannt und gefühlt wird. Es handelt sich bei diesen wenigen um die Melancholiker, die Schwermütigen, die von der schwarzen Galle befallenen, oder wie auch immer sie in der jeweiligen Geschichtsperiode genannt wurden. Da der Rest der Menschheit in der beständigen Illusion eines Fortschritts lebt, ist es nicht verwunderlich, dass die melancholische Perspektive schon immer als abwegig und irrsinnig, teilweise sogar als satanisch deklariert und, ob nun kirchlich oder medizinisch, ausexorziert werden mußte. Jedoch sind all diese Schritte, so drastisch sie teilweise auch waren, nichts gegen die heutzutage laufende Massengehirnwäsche gegen die Melancholiker, welche von der modernen Medizin und vor allem der Pharmaindustrie vorangepeitscht wird.
Der klarsichtige Melancholiker streitet nicht ab, dass die Welt und die Menschheit einem wie auch immer gearteten Prozess, einer Entwicklung unterliegt. Jedoch sieht er da, wo die anderen in der Illusion eines positiven Fortschritts, gleichsam einer Aufwärtsspirale, leben, nur die Wahrheit eines negativen Fortschritts, nämlich einer Abwärtsspirale. Während die moderne Wissenschaft weiterhin versucht, den Melancholikern ihre Klarsicht auszuexorzieren, quillt aus allen Ecken und Ritzen die blutige und schwarzgallige Realität der Dinge hervor, die uns zeigt, dass unsere ganze Geschichte nichts weiter als ein Auftürmen von Leichenbergen, Folteropfern, zerbombten Trümmerhaufen,
ausradierten Städten, Vernichtungslagern und Massengräbern ist. Die Zeiten des Friedens wurden vor allem für Aufräumarbeiten (physische und metaphysische) und erneutes Aufrüsten genutzt. Dazwischen verfeinerten wir unsere Überlebens-Instrumente, unsere Behausungen und unseren Lebenswandel, immer wartend auf die nächste menschengemachte Teilzeit-Apokalypse, alles in den Schatten stellend natürlich der erste und vor allem der zweite Weltkrieg.
Wie die Menschheit nach dem zweiten Weltkrieg und dem zur Industrie erhobenen Massenmord beschließen konnte weiterzubestehen, ist mir ein Rätsel. Ein noch viel größeres Rätsel ist mir jedoch, warum sie sich nicht einmal die Frage ernsthaft gestellt hat. Wäre anstelle, oder sagen wir, nur um jedes Mißverständnis zu vermeiden, nach den Nürnberger Prozessen nicht vielmehr ein Weltprozess nötig gewesen, in dem darüber entschieden wird, ob es nicht besser für die Menschheit wäre, freiwillig auszusterben, als danach noch weiterzumachen. Natürlich wäre es folgerichtig gewesen, aber da der Großteil der Menschheit nuneinmal, trotz des schlagenden und markerschütternden
Gegenbeweises der Jahre 1939-1945, welche an Grausamkeit und Unmenschlichkeit alles bisher dagewesene in den Schatten stellten und in welchen die Rationalität des Bösen durch eine geplante und vollstreckte TötungsINDUSTRIE auf die Spitze getrieben wurde, an einen positiven Entwicklungsgang glaubt, war es im Grunde klar, dass dieser Prozess nicht zustande kommen konnte. Man belies es dabei, das Geschehene als Einzelfall zu behandeln und folgerte nicht, dass eine solche Katastrophe aus dem Gang der Welt natürlich folgte und in der Zukunft zweifellos noch übertroffen werden kann.
Wir springen nun direkt in die moderne Zeit, in unser Zeitalter der Psychotherapie und Antidepressiva. Als "depressiv" gilt heute, wer nicht mehr mit dem krankhaften Tempo der Welt mithalten kann. Wer mit dieser Gesellschaft nicht klar kommt, wer es nicht schafft, jeden Tag mindestens acht Stunden zu schuften um einem anonymen Konzernchef, den man nie persönlich kennen lernen wird, sein drittes Haus oder seinen fünften Mercedes zu finanzieren; wer es nicht "auf die Reihe kriegt" in der sogenannten Freizeit zwischen Smartphone und Facebook noch einen stabilen Freundes-und-Bekanntenkreis, also einen Kreis aus gleichwertigen Arbeits-und-Konsumzombies, aufrechtzuerhalten, der gilt als depressiv, der leidet an "Burnout", dessen Gene sind wohl noch nicht im neuen Paradies der kapitalistischen Utopie angekommen, der muss mit Gehirnwäsche und Psychopillen "upgedated" werden, damit er sich wieder in den rasenden Strom des postmodernen Wahnsinns einfügen und weiterhin das System am Leben halten kann.Es fällt hier als erstes ins Auge, dass es nicht darum geht, das leidende Individuum zu heilen, sondern seine Funktion für die Gesellschaft wiederherzustellen. Gleichzeitig hält die sogenannte Psychotherapie einen eigenen Industriezweig der Pharmaindustrie am Leben, nämlich den florierenden Markt der Antidepressiva und sonstigen Psychopharmaka. Desweiteren fällt auf, dass etwaige Gründe für die "Depression", wie etwa ein begründeter Geschichtspessimismus oder die Anerkennung der offensichtlichen Nichtigkeit und Leiderfülltheit des Lebens, überhaupt keine Rolle spielen. Wer die wahren Gründe für seinen Geisteszustand anführt, der bekommt Sätze zu hören wie "sie müssen schon wirklich Hilfe annehmen, sonst funktioniert das nicht" oder "mit einer so negativen Einstellung kommen wir hier nicht weiter". Es ist die endgültige Pathologisierung der pessimistischen Denkweise und die heutige Gesellschaft, die meint alles "heilen" zu müssen, was nicht dem positivistischen Fortschrittsgedanken entspricht, würde sogar einem Schopenhauer und einem Cioran Pillen verschreiben! Durch die erfolgreiche Psychologisierung aller Motive, welche vollkommen absurd ist, zählen Argumente nichts mehr, weil immer die "denk nicht so negativ"-Keule hinterm Therapeutensessel bereit steht (wobei jene Keule auch von jedem x-beliebigen Gesprächspartner genau so gerne benutzt wird).
Ich will hier nicht unter den Tisch fallen lassen, dass die Melancholie, die Schwermut, die Depression, durchaus krankhafte Symptome hervorufen kann und dies in einem geringeren Maße als heute auch schon immer konnte (man könnte sagen: die "Depression" ist der krankhafte Aspekt der Melancholie, der Aspekt, der psychopathologsiche Ängste, Zwänge und ähnliches entstehen lässt, welche natürlich in der modernen Gesellschaft vielmehr ins Gewicht fallen als früher). Fest steht aber für mich, dass der Kern der Melancholie wie auch der Depression eine klare, ungeschönte Sicht auf die Tatsachen der Welt ist. Dass die krankhaften Auswüchse dieser so edlen Geisteshaltung gerade in der modernen Zeit so rapide zunehmen, liegt ganz offensichtlich an der Zeit, nicht an den Individuen. In den letzten Jahrzehnten hat sich der Weltlauf noch einmal so drastisch exponentiell beschleunigt, dass E.M. Ciorans Prophezeihung, dass eine Zeit kommen wird, "in der sich das Dasein vollständig in Bewegung aufgelöst haben wird", längst Realität geworden ist. Es gibt für den durchschnittlichen Menschen praktisch keine Ruhe, keine Besinnung und kein Stillstehen mehr. Wir werden, wenn wir nicht gerade selbst für den Erhalt all dieses Wahnsinns schuften, bombardiert mit den Erzeugnissen der anderen, die ihrerseits für den Erhalt des Systems kämpfen (man muss es so nennen, denn moderne Arbeit ist durch Zeitdruck und Bedingungen in den meisten Fällen ein Kampf). Die Reizüberflutung kennt keine Grenzen mehr und wir sind selbst nur noch zuckende Automaten zwischen Fernseher, Radio, DVD-Player, Playstation, PC, Smartphone und Laptop. Die Natur ist in weite Ferne gerückt und viele kennen sie nur noch in digitaliserter Version. Den Holocaust haben wir in die Tier-KZ's verlegt, denn man muss nicht befürchten, dass Schweine und Rinder sich zusammentun und einen Prozess zur Aufarbeitung dieses Verbrechens in die Wege leiten, welcher die Täter bloßstellen und bestrafen wird.
Gerade in dieser Zeit, in der abartigsten und perversesten Gesellschaft aller Zeiten, welche geradezu danach schreit, darin depressiv zu werden, wird nun also die Klarsichtigkeit der Melancholie wie noch in keiner anderen Epoche zuvor pathologisiert und ausgegrenzt. Wer nichts "positives" zu sagen hat, der soll "erst mal klar kommen", wie es so schön heißt, der mus wohl erst einmal sich selbst überwinden, mitmachen und sich einreihen. Es ist die größte Gleischschaltung, die jemals stattgefunden hat und die Krönung dieser Gleichschaltung ist, dass sie uns als "Freiheit" verkauft wird - das ist der Geniestreich der modernen Diktatur, welche es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Wahrheit über das Leben endgültig mit Therapie und Pille aus der Welt zu schaffen, um so die Reparadiesierung einer in sich kranken Welt zu ermöglichen. Sie wird ihr Ziel erreicht haben, an dem Tag, an dem Chemie und Gehirnwäsche noch den letzten Melancholiker verstummen lassen.
Montag, 29. Juli 2013
Sonntag, 28. Juli 2013
Die blutende Wunde des Nichts
Auf dem Grunde sieht der immanente Philosoph im ganzen Weltall nur die tiefste Sehnsucht nach absoluter Vernichtung. Es handelt sich nicht darum, ein Geschlecht von Engeln zu erziehen, das dann immerfort, immerfort existierte, sondern um Erlösung vom Dasein.
- Philipp Mainländer
Wieso konnte das Universum nicht in der ewigen Stille des Nichts verharren? Woher kam der Impuls, der Perfektion der Leere etwas hinzuzufügen? Was veranlasste den ewigen Frieden der Nichtexistenz den Krieg der Existenz zu beginnen?
Die Welt ist die blutende Wunde des Nichts und alles was ist, strebt nicht etwa nach Vollendung, nach Perfektion oder nach Glück - wie könnte es auch, wo doch die Perfektion der Ausgangspunkt war? Alles strebt nach dem Ende, nach dem Tod, nach Erlösung. Die Bewegung der Welt ist die Bewegung aus dem Sein in das Nichtsein. Innerhalb des Seins gibt es nichts zu erreichen, nichts zu verbessern, es gibt nur verschiedene Formen des Leidens, angenehme und, weit mehr, unangenehme. Wir können die Wunde verbinden, aber unsere Verbände sind mangelhaft und überall dringt Blut durch die Ritzen.
Ich habe an der reich gedeckten Tafel der Weisen gesessen und die Wahrheit gesehen - doch irgend etwas zieht mich immer wieder hinunter in das schwüle Gedränge des Karnevalssaals namens Leben. Dann halten mich die Emotionen, die Erfahrungen, das Unvorhersehbare eine Weile dort im Chaos - nur um mich dann schon nach kurzer Zeit wieder nach der Stille und Freiheit der Weisheit sehnen zu lassen.
An der Tafel der Weisen sitzen meine Seelenverwandten, diejenigen, die das Ziel allen Lebens - den Tod - direkt wollen. Im Karnevalssaal tanzen meine Herzensverwandten, diejenigen die immer noch am Tropf des Lebens hängen und das Mittel (Leben) über den Zweck (Tod) stellen.
Ich lebe in zwei Welten und kann mich für keine entscheiden. Ich bin dazu auserkoren ewig hin und her zu schwanken zwischen der Verneinung und der Bejahung, in der Bejahung immer nur mit halber Seele und vollem Herzen, in der Verneinung immer nur mit halbem Herzen und voller Seele stagnierend.
So schleppe ich mich weiter durchs Treppenhaus der Nichtigkeit und warte auf den Tag, an dem der Tod die Wahrheit der Weisen bekunden und all meine Zweifel für immer aufheben wird. Ich bin schon jetzt gespannt, ob ich im Karnevalssaal oder an der Tafel der Weisen meinen letzten Atemzug nehmen werde...
- Philipp Mainländer
Wieso konnte das Universum nicht in der ewigen Stille des Nichts verharren? Woher kam der Impuls, der Perfektion der Leere etwas hinzuzufügen? Was veranlasste den ewigen Frieden der Nichtexistenz den Krieg der Existenz zu beginnen?
Die Welt ist die blutende Wunde des Nichts und alles was ist, strebt nicht etwa nach Vollendung, nach Perfektion oder nach Glück - wie könnte es auch, wo doch die Perfektion der Ausgangspunkt war? Alles strebt nach dem Ende, nach dem Tod, nach Erlösung. Die Bewegung der Welt ist die Bewegung aus dem Sein in das Nichtsein. Innerhalb des Seins gibt es nichts zu erreichen, nichts zu verbessern, es gibt nur verschiedene Formen des Leidens, angenehme und, weit mehr, unangenehme. Wir können die Wunde verbinden, aber unsere Verbände sind mangelhaft und überall dringt Blut durch die Ritzen.
Ich habe an der reich gedeckten Tafel der Weisen gesessen und die Wahrheit gesehen - doch irgend etwas zieht mich immer wieder hinunter in das schwüle Gedränge des Karnevalssaals namens Leben. Dann halten mich die Emotionen, die Erfahrungen, das Unvorhersehbare eine Weile dort im Chaos - nur um mich dann schon nach kurzer Zeit wieder nach der Stille und Freiheit der Weisheit sehnen zu lassen.
An der Tafel der Weisen sitzen meine Seelenverwandten, diejenigen, die das Ziel allen Lebens - den Tod - direkt wollen. Im Karnevalssaal tanzen meine Herzensverwandten, diejenigen die immer noch am Tropf des Lebens hängen und das Mittel (Leben) über den Zweck (Tod) stellen.
Ich lebe in zwei Welten und kann mich für keine entscheiden. Ich bin dazu auserkoren ewig hin und her zu schwanken zwischen der Verneinung und der Bejahung, in der Bejahung immer nur mit halber Seele und vollem Herzen, in der Verneinung immer nur mit halbem Herzen und voller Seele stagnierend.
So schleppe ich mich weiter durchs Treppenhaus der Nichtigkeit und warte auf den Tag, an dem der Tod die Wahrheit der Weisen bekunden und all meine Zweifel für immer aufheben wird. Ich bin schon jetzt gespannt, ob ich im Karnevalssaal oder an der Tafel der Weisen meinen letzten Atemzug nehmen werde...
Samstag, 6. April 2013
Filmempfehlung: Die grosse Stille
"Außergewöhnliches Filmprojekt von Philip Gröning, der die Einsamkeit und Stille des Klosters La Grande Chartreuse dokumentiert."
Die grosse Stille
Die grosse Stille
Buchempfehlung: Herman Melville - Bartleby der Schreiber
"Herman Melvilles subversive Geschichte einer Verweigerung ist eines
seiner Meisterwerke und einzigartig in ihrer absurden Komik. Jürgen Krug
hat seine Neuübersetzung mit einem umfangreichen Kommentar versehen.
Die Geschichte spielt in der New Yorker Geschäftswelt um die Mitte
des 19. Jahrhunderts. Ein seltsamer, rätselhafter Mann wird in einer
Kanzlei als Kopist eingestellt: Bartleby. Während er zunächst durch
ungewöhnlich große Zurückhaltung und Schweigsamkeit auffällt, geht er
mehr und mehr dazu über, die Ausführung bestimmter Tätigkeiten mit dem
Satz »Ich möchte lieber nicht« abzulehnen. Schließlich verweigert er
sich jeder Art von Tätigkeit. Sein Arbeitgeber erliegt immer mehr dem
Einfluß Bartlebys …"
Bartleby der Schreiber
Bartleby der Schreiber
Montag, 25. Februar 2013
Emil und der Selbstmord - Von Ciorans Kampf der Völker zum Kampf gegen sich selbst
Ein Essay von Katharina Kaps:
Antinatalität? Was´n das? Eine Entgegnung zum arendtschen Gebürtlichkeits-Konzept? In gewisser Weise mag dies stimmen, ohne dass Cioran je wirklich Kenntnis von Arendt (oder vice versa) genommen hätte. Arendts Ansatz einer durch das menschliche (Immer-wieder) Anfangen-Können bedingten vita activa entgegnet Cioran mit einer vita passiva (die keine vita contemplativa ist); einem von Skepsis befallenen Dasein, das sich in gleichgültiger Larmoyanz (sic!) satiniert: dem cioranschen Zustand des Nicht-Selbstmordes[1].
Auftakt dieser Lehre bildet die Setzung eines ursprünglich rein biologisch-vitalen Daseins. Im instinktiven, sein teleologisches Moment wesenhaft in sich tragenden (Über)Lebenswillen wird ein Faktor des fundamentalen Leids gesehen, dessen immanente Ursache das Leben in der Zeitlichkeit ist. Der Wille ist eine Funktion eines dem Dasein „aufgepfropften“ Geistes. Cioran verflucht (sic!) die Entwicklung des Geistes aus der Materie, in anderen Publikationen die Genese der Materie überhaupt. Dem Vergehen-zum-Tode wird die Glorifizierung des Nu opponiert: Im hypostatisierten Augenblick sieht Cioran die Möglichkeit der Ewigkeit, eines schopenhauerischen nunc stans.
Als Kafka einem Freund zu
verstehen gibt, er schreibe, weil er andern-
falls wahnsinnig würde, weiß
er, dass Schreiben schon Wahnsinn,
sein Wahnsinn ist, eine Art
Wachen außer Bewußtsein,
Schlaflosigkeit. Wahnsinn
gegen Wahnsinn.
(Blanchot,
Die Schrift des Desasters)
say
anti-anti, anti-anti
say anti-anti, anti-anti
say anti-anti, anti-anti
Bonaparte, Anti-anti
Antinatalität? Was´n das? Eine Entgegnung zum arendtschen Gebürtlichkeits-Konzept? In gewisser Weise mag dies stimmen, ohne dass Cioran je wirklich Kenntnis von Arendt (oder vice versa) genommen hätte. Arendts Ansatz einer durch das menschliche (Immer-wieder) Anfangen-Können bedingten vita activa entgegnet Cioran mit einer vita passiva (die keine vita contemplativa ist); einem von Skepsis befallenen Dasein, das sich in gleichgültiger Larmoyanz (sic!) satiniert: dem cioranschen Zustand des Nicht-Selbstmordes[1].
Die essentiellen Fundamente des (französisierten, späteren) cioranschen
Schreibens: Die – sublimierte – Negation des als kontingent und leidvoll
erlebten Daseins, die radikale Subjektivität basierend auf einer vitalistisch
und durch einen perennierend zweifelnden Geist geschwächt gedachten Existenz,
die (nun) intrasubjektiv lokalisierte Kampfarena (die nicht mehr eine Arena
verschiedener Völker-im-Kampf ist), der konsequenter Nihilismus, eskortiert von
einem „Suizid als Methode“, expliziert in eruptionsartigem Schreiben – so
lautet das Resümee der wichtigsten Inhalte des cioranschen Œuvre.
Auftakt dieser Lehre bildet die Setzung eines ursprünglich rein biologisch-vitalen Daseins. Im instinktiven, sein teleologisches Moment wesenhaft in sich tragenden (Über)Lebenswillen wird ein Faktor des fundamentalen Leids gesehen, dessen immanente Ursache das Leben in der Zeitlichkeit ist. Der Wille ist eine Funktion eines dem Dasein „aufgepfropften“ Geistes. Cioran verflucht (sic!) die Entwicklung des Geistes aus der Materie, in anderen Publikationen die Genese der Materie überhaupt. Dem Vergehen-zum-Tode wird die Glorifizierung des Nu opponiert: Im hypostatisierten Augenblick sieht Cioran die Möglichkeit der Ewigkeit, eines schopenhauerischen nunc stans.
Es gilt nicht das Dasein als Geworfenes gemäß seiner Möglichkeiten zu
realisieren, es bleibt lediglich ein Wüten über die Gewesenheit des
paradiesischen „[...] l´anonymat initial.“[2]
Auf diesen vorgeburtlichen Noch-nicht-Seins-Zustand rekurriert eine
resignativ-religiöse Sinnsuche des sich nach einem verklärten
Pränatalitätsparadies sehnenden Individuums. Das dem Faktum der Geburt adäquat
gesetzte principium individuationis, dessen Folge das Leben innerhalb
der Zeitlichkeit, also ein Dasein-zum-Tode ist, figuriert als intramundän
erfahrbare Kausalität allen Leids: „L´individuation nous révèle la naissance
comme un isolement et la mort comme un retour“.[3]
Diese Rückkehr wird mystisch-verklärt zur Rückkehr in einen Zustand, in dem wir
noch nicht als Singularitäten existierten, aber eine pränatal-harmonische
Totalität gegeben war – ein Mystizismus, der in ähnlicher Lesart bereits vom
mittelalterlichen Eckhart, sowie Mainländer oder auch Weil im 20. Jahrhundert
propagiert wurde. Leben repräsentiert ergo das Paradox einer Gewissheit,
sterben zu müssen, und einer konsequent gelebten Defensivhaltung gegenüber
dieser Gewissheit.
Nichts rechtfertigt die Tatsache dass man lebt; nichts das einzige Pech,
das Licht der Welt zu erblicken.[4]
Es bleibt nur, sich an das Absurde zu halten, was einer Verrücktheit
gleichkommt. Dies lässt Cioran schließen,
dass „[t]oute existence qui ne recèle pas une grande folie reste depourvu de
valeur“.[5] Die Absurdität des originären Prinzips
wird in das Subjekt hinein geholt und dort als Eigenes angenommen und
kultiviert. Nicht die Vernunft, sondern der dem menschlichen Dasein immanente
Wahnsinn wird hier als spezifisch menschliches Charakteristikum gesetzt. Cioran
positioniert „Wahnsinn“ als in Opposition zur Vernunft zu stehend und
infiltriert den Begriff mittels dieser Kontrastierung mit positiver
Konnotation. Er kann, obwohl zahlreiche Versuche davon zeugen, den
Vernunftbegriff nicht absolut negieren, wohl aber dessen Wirkungsbereich als
unzureichend erklären: „Que la folie soit notre seule sagesse“.[6]
Das bedeutet, man muss das Wissen, das man habe, das existenziell-bedrückende
Wissen, sterben zu müssen, transzendieren, und sich der Irrationalität hingeben
– um in dieser zu leben.
Aus der Irrationalität des Daseins, eine aus dem Bereich der Affektionen deduzierte
Erkenntnis, folgt nach Cioran die These, da es
keinen Grund zu leben gibt, es ebenso wenig einen Grund zu sterben geben kann.
Dies wiederum gilt für alle in einem in diesem vereinten und doch
individualisierten Sein-zum-Tode. Dieses Leben jedoch, dem wir anheimfallen,
bedeutet nicht nur essentielles Leid, eine Ideologie, die zuvor schon
Schopenhauer und Mainländer propagierten; bei Cioran entwickelt sich dieses
Leiden zur existentiellen Geißel der Agonie.[7]
Oder auch: Sein ist der Zustand des Nicht-Selbstmordes.[8]
Gleichzeitig oder dennoch erfährt das Leben als einzig unmittelbar
erfahrbare Realität selbst eine Apotheose: Der Rest ist Philosophie,
Christentum oder andere Form des Verfalls.[9]
Es gibt lediglich eine allen Individuen zu Teil werdende Universalität: Die des
Lebens und damit des Todes.[10]
Während die Ideen vom Wesen des Menschen als lediglich externe mit dem
geschichtlichen Wechsel variieren, bleibt der Tod das einzig wahre Kriterium.
Dem widersteht eine Glorifizierung des Nu: Im Augenblick als Ewigkeit in der
Zeit, wird der Tod genichtet.
Wozu also eine Cioran-Lektüre? Letztendlich bleibt das gesamte Werk
persönlich-subjektivem Duktus verhaftet, dass es keiner inhaltlichen Kritik
exponibel gemacht werden kann. Die Quintessenz des cioranschen Denkens bleibt
demnach als ein Ratgeber abseits der inflationären Ratgeber-Maschinerie unserer
Zeit lesbar, keine hedonistischen, ethisch-moralischen oder sonstige lebens-
und verhaltensoptimierenden Leitlinien beherbergend, sondern gespickt mit
Gedanken für jene, die sich in ähnlichen Lebens- und Leidenssituationen
befanden und in diesem Werk ironischerweise die Affirmation des Lebens finden
werden und sich in Aufbegehren oder Indifferenz gegenüber diesem leidvollen
Dasein üben können.
[1]
Cf. Cioran, Emil; SCD, 390.
Cf. Cioran, Emil; SCD, 390.
[2]
„[...] das anfänglich Anonyme“, LL, 204.
„[...] das anfänglich Anonyme“, LL, 204.
[3]
„Die Individuation zeigt uns die Geburt als Isolierung, den Tod als Rückkehr auf“., Ebd., 203.
„Die Individuation zeigt uns die Geburt als Isolierung, den Tod als Rückkehr auf“., Ebd., 203.
[4]
IEN, 1276.
IEN, 1276.
[5]
„Jede Existenz, die nicht in sich einen großen Wahnsinn birgt, ist wertlos.; SCD, 24.
„Jede Existenz, die nicht in sich einen großen Wahnsinn birgt, ist wertlos.; SCD, 24.
[6]
„Wahnsinn sei unsere einzige Weisheit“., LDL, 140.
„Wahnsinn sei unsere einzige Weisheit“., LDL, 140.
[7]
SCD, 45. Zur Terminologie der Tortur, die das Dasein darstellt, lassen sich in jedem Werk Ciorans unzählige Exempel finden. Zur Entfaltung der Agonie in der Zeitlichkeit cf. das Kapitel bezüglich Zeitlichkeit dieser Arbeit.
SCD, 45. Zur Terminologie der Tortur, die das Dasein darstellt, lassen sich in jedem Werk Ciorans unzählige Exempel finden. Zur Entfaltung der Agonie in der Zeitlichkeit cf. das Kapitel bezüglich Zeitlichkeit dieser Arbeit.
[8]
Cf. CDP, 390.
Cf. CDP, 390.
[9]
LL, 216.
LL, 216.
[10]
Cf. LZ, 17.
Cf. LZ, 17.
Siglen
CP Le crépuscule des
pensées, In: Oeuvres,
Editions Gallimard, Paris 1995
dt. Titel: Gedankendämmerung,
Originaltitel: Pe culmile disperarii
IEN De l´inconvenient
d´etre né, In: Oeuvres, Editions Gallimard, Paris 1979
LZ Lehre vom Zerfall. Essays; Übertragen von Paul Celan,
Klett-Cotta, Stuttgart 1978
LL Le livre des
leurres, In: Oeuvres, Editions Gallimard, Paris 1995, dt. Das
Buch
der Täuschungen
LS Des
larmes et des saints, In: Oeuvres, Editions Gallimard, Paris 1995,
dt. Das
Buch
der Täuschungen
LSL Leidenschaftlicher Leitfaden, Übersetzung
von Ferdinand Leopold, Suhrkamp,
Suhrkamp,
Frankfurt am Main 1996
SCD Sur les cimes du
desespoir; In: Oeuvres; Editions Gallimard, Paris 1995;
dt. Titel:Auf den Gipfeln der
Verzweiflung
VS Die
verfehlte Schöpfung; Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1979, Über-
setzung
der Originalausgabe Le mauvais démiurge; Editions Gallimard, Paris 1969
Mittwoch, 20. Februar 2013
Radiosendung über Philipp Mainländer
Zur Sendung...
"Eigentlich hieß der 1841 in Offenbach am Main geborene dichtende und denkende Kaufmann Philipp Batz. Etablierte Literaturwissenschaftler und Philosophen haben den unglücklichen Selbstmörder mit dem Etikett „Schopenhauerschüler" versehen und dann schnell vergessen. Sein Denken war vielen zu radikal. Doch außerhalb und am Rande der akademischen Zunft erlebt er derzeit eine nicht unbeträchtliche Wiederentdeckung. Seine Werke werden neu herausgegeben, eine Biografie ist erschienen, wissenschaftliche Aufsätze in Fachzeitschriften wurden publiziert. Dort kann man dann lesen, Mainländer löse Denkblockaden. Und sein Hauptwerk, die Philosophie der Erlösung, sei, wie bereits Theodor Lessing geschrieben hat, „vielleicht das radikalste System, das die philosophische Literatur kennt“."
"Eigentlich hieß der 1841 in Offenbach am Main geborene dichtende und denkende Kaufmann Philipp Batz. Etablierte Literaturwissenschaftler und Philosophen haben den unglücklichen Selbstmörder mit dem Etikett „Schopenhauerschüler" versehen und dann schnell vergessen. Sein Denken war vielen zu radikal. Doch außerhalb und am Rande der akademischen Zunft erlebt er derzeit eine nicht unbeträchtliche Wiederentdeckung. Seine Werke werden neu herausgegeben, eine Biografie ist erschienen, wissenschaftliche Aufsätze in Fachzeitschriften wurden publiziert. Dort kann man dann lesen, Mainländer löse Denkblockaden. Und sein Hauptwerk, die Philosophie der Erlösung, sei, wie bereits Theodor Lessing geschrieben hat, „vielleicht das radikalste System, das die philosophische Literatur kennt“."
Was ist anthropofugale Philosophie?
Hier gibt es eine sehr lesenswerte Rezension zu Ulrich Horstmanns Buch "Das Untier":
I. Das Untier schlechthin: der Mensch
In seinem 1983 zuerst, 1985 dann als Suhrkamp-Taschenbuch erschienenem Essay
entwickelt Horstmann das Grundmuster dessen, was er "anthropofugales Denken"
nennt. Der Einsatz des Buches gibt unmittelbar den ironisch-sarkastischen Ton dieses
Philosophierens an:
Die Apokalypse steht ins Haus. Wir Untiere wissen es längst, und wir wissen es alle. Hinter dem Parteiengezänk, den Auf- und Abrüstungsdebatten, den Militärparaden und Anti-Kriegsmärschen, hinter der Fassade des Friedenswillens und der endlosen Waffenstillstände gibt es eine heimliche Übereinkunft, ein unausgesprochenes großes Einverständnis: dass wir ein Ende machen müssen mit uns und unseresgleichen, sobald und so gründlich wie möglich – ohne Pardon, ohne Skrupel und ohne Überlebende. (Suhrkamp-Ausgabe, S. 7)
Diese These ist zunächst mehr als überraschend. Sie beinhaltet, dass alle
Anstrengungen der Menschheit, auch und erst recht diejenigen, die auf eine grundsätzliche
Überwindung des Krieges zielen, letztlich, "in der Heimlichkeit [unserer]
Vernunft" (ebda.), das Gegenteil meinen und auf eine Auslöschung, nicht nur des
menschlichen, sondern des Lebens überhaupt, gerichtet sind:
Der wahre Garten Eden – das ist die Öde. Das Ziel der Geschichte – das ist das verwitternde Ruinenfeld. Der Sinn – das ist der durch die Augenhöhlen unter das Schädeldach geblasene, rieselnde Sand. (S. 8).
Damit sind von vornherein alle Ideen, sei es der Philosophie oder der Religion,
von Fortschritt, einem Telos der Geschichte oder gar der Erlösung, beiseite gewischt. Sie
können nichts weiter sein, als mühsame Versuche, sich das Sinnleere unserer Existenz zu
verbergen, nein, mehr noch, sie arbeiten dem Nichts, das sie nicht gelten lassen wollen,
insgeheim, wie wir gesehen haben, dennoch zu... weiterlesen
Freitag, 15. Februar 2013
Filmempfehlung: Lars von Trier - Melancholia
"Ein wunderschöner Film über das Ende der Welt – wer außer Lars von Trier
würde sich auf so ein waghalsiges Unterfangen einlassen? Der seit
Jahren für seinen Mut und seine Risikobereitschaft gefeierte Regisseur
legt mit Melancholia erneut ein Meisterwerk vor, mit dem er ganz neue
Wege beschreitet und sein Publikum abermals überrascht. Einmal mehr
blickt der mehrfach mit Preisen ausgezeichnete Däne, dabei mit seinem
bildgewaltigen und emotional schonungslosen Drama tief in die seelischen
Abgründe und Ängste seiner ungleichen Protagonistinnen."
Melancholia
Melancholia
Donnerstag, 17. Januar 2013
Zitat
Man denke sich ein Mal, daß der Zeugungsakt weder ein
Bedürfniß, noch von Wollust begleitet, sondern eine Sache der
reinen, vernünftigen Überlegung wäre: könnte wohl dann
das Menschengeschlecht noch bestehen? Würde nicht vielmehr Jeder so
viel Mitleid mit der kommenden Generation gehabt haben, daß er ihr
die Last des Daseins lieber erspart, oder wenigstens es nicht hätte
auf sich nehmen mögen, sie kaltblütig ihr aufzulegen? - Die Welt
ist eben die Hölle, und die Menschen sind einerseits die gequälten
Seelen und andererseits die Teufel darin.
Da werde ich wohl wieder vernehmen müssen, meine Philosophie sei trostlos; eben nur weil ich nach der Wahrheit rede, die Leute aber hören wollen, Gott der Herr habe alles wohlgemacht. Geht in die Kirche und laßt die Philosophen in Ruhe!
(...)
Um allezeit einen sichern Kompaß, zur Orientierung im Leben, bei der Hand zu haben, und um dasselbe, ohne je irre zu werden, stets im richtigen Lichte zu erblicken, ist nichts tauglicher, als daß man sich angewöhne, diese Welt zu betrachten als einen Ort der Buße, also gleichsam als eine Strafanstalt, eine Strafkolonie, ein Arbeitslager. (...) Hat man jene Gewohnheit angenommen; so wird man seine Erwartungen vom Leben so stellen, wie sie der Sache angemessen sind, und demnach die Widerwärtigkeiten, Leiden, Plagen und Not desselben, im Großen und im Kleinen, nicht mehr als etwas Regelwidriges und Unerwartetes ansehn, sondern ganz in der Ordnung finden, wohl wissend, daß hier Jeder für sein Dasein gestraft wird, und zwar Jeder auf seine Weise. Zu den Übeln einer Strafanstalt gehört dann auch die Gesellschaft, welche man daselbst antrifft. Wie es um diese hieselbst stehe, wird, wer irgendwie einer besseren würdig wäre, auch ohne mein Sagen wissen. Der schönen Seele nun gar, wie auch dem Genie, mag bisweilen darin zu Mute sein, wie einem edlen Staatsgefangenen, auf der Galeere, unter gemeinen Verbrechern; daher sie, wie dieser, suchen werden, sich zu isolieren. Überhaupt jedoch wird besagte Auffassung uns befähigen, die sogenannten Unvollkommenheiten (...) der meisten Menschen, ohne Befremden, geschweige mit Entrüstung, zu betrachten: denn wir werden stets im Sinne behalten, wo wir sind, folglich jeden ansehen zunächst als ein Wesen, welches nur in Folge seiner Sündhaftigkeit existiert, dessen Leben die Abbüßung der Schuld seiner Geburt ist. (...) In der Tat ist die Überzeugung, daß die Welt, also auch der Mensch, etwas ist, das eigentlich nicht sein sollte, geeignet, uns mit Nachsicht gegen einander zu erfüllen: denn was kann man von Wesen unter solchem Prädikament erwarten? - Ja, von diesem Gesichtspunkt aus könnte man auf den Gedanken kommen, daß die eigentlich passende Anrede zwischen Mensch und Mensch "Leidensgefährte" sein sollte.
Arthur Schopenhauer
Da werde ich wohl wieder vernehmen müssen, meine Philosophie sei trostlos; eben nur weil ich nach der Wahrheit rede, die Leute aber hören wollen, Gott der Herr habe alles wohlgemacht. Geht in die Kirche und laßt die Philosophen in Ruhe!
(...)
Um allezeit einen sichern Kompaß, zur Orientierung im Leben, bei der Hand zu haben, und um dasselbe, ohne je irre zu werden, stets im richtigen Lichte zu erblicken, ist nichts tauglicher, als daß man sich angewöhne, diese Welt zu betrachten als einen Ort der Buße, also gleichsam als eine Strafanstalt, eine Strafkolonie, ein Arbeitslager. (...) Hat man jene Gewohnheit angenommen; so wird man seine Erwartungen vom Leben so stellen, wie sie der Sache angemessen sind, und demnach die Widerwärtigkeiten, Leiden, Plagen und Not desselben, im Großen und im Kleinen, nicht mehr als etwas Regelwidriges und Unerwartetes ansehn, sondern ganz in der Ordnung finden, wohl wissend, daß hier Jeder für sein Dasein gestraft wird, und zwar Jeder auf seine Weise. Zu den Übeln einer Strafanstalt gehört dann auch die Gesellschaft, welche man daselbst antrifft. Wie es um diese hieselbst stehe, wird, wer irgendwie einer besseren würdig wäre, auch ohne mein Sagen wissen. Der schönen Seele nun gar, wie auch dem Genie, mag bisweilen darin zu Mute sein, wie einem edlen Staatsgefangenen, auf der Galeere, unter gemeinen Verbrechern; daher sie, wie dieser, suchen werden, sich zu isolieren. Überhaupt jedoch wird besagte Auffassung uns befähigen, die sogenannten Unvollkommenheiten (...) der meisten Menschen, ohne Befremden, geschweige mit Entrüstung, zu betrachten: denn wir werden stets im Sinne behalten, wo wir sind, folglich jeden ansehen zunächst als ein Wesen, welches nur in Folge seiner Sündhaftigkeit existiert, dessen Leben die Abbüßung der Schuld seiner Geburt ist. (...) In der Tat ist die Überzeugung, daß die Welt, also auch der Mensch, etwas ist, das eigentlich nicht sein sollte, geeignet, uns mit Nachsicht gegen einander zu erfüllen: denn was kann man von Wesen unter solchem Prädikament erwarten? - Ja, von diesem Gesichtspunkt aus könnte man auf den Gedanken kommen, daß die eigentlich passende Anrede zwischen Mensch und Mensch "Leidensgefährte" sein sollte.
Arthur Schopenhauer
Dienstag, 15. Januar 2013
Giacomo Leopardi - Unfähigkeit zu allen Dingen
Lang andauerndes Unglück wie auch ein zur Gewohnheit
gewordener Zustand, in welchem dem Menschen Freuden und Anreize für
seine Eigenliebe versagt sind, lassen auch in der edelsten Seele schließlich
jede Phantasie, alles starke Gefühl, Leben, Tatkraft und Stärke
und nahezu jede Seelengabe erlöschen. Denn eine derartige Seele fasst
sich nach der ersten nutzlosen Verzweiflung und dem wilden und schmerzreichen
Zusammenstoß mit der Notwendigkeit schließlich in einem Zustand
der Stille und kennt keinen Ausweg im Leben mehr, wie auch Natur und Zeit
ihr nichts anderes gebieten, denn die Eigenliebe dauernd zurückzudrängen
und zu unterdrücken, damit sie das Unglück weniger hart treffe,
dieses besser zu ertragen und mit der Ruhe eher vereinbar sei. Daraus entsteht
dann eine übermäßige Gleichgültigkeit und Härte
gegen sich selbst, ein vollkommenes Absterben geistigen Lebens und menschlicher
Gaben. Der Mensch nimmt an sich selbst keinen Anteil mehr und widmet sich
auch keiner Sache, denn im Grunde nimmt er an Dingen nur Anteil, wenn sie
eine mehr oder weniger enge und offenbare, aber doch irgendwie geartete
Beziehung zu ihm selbst haben, weder die Schönheiten der Natur, Musik,
Dichtung, erfreuliche oder traurige Weltereignisse, noch Glück und
Unglück anderer Menschen, gehören sie selbst zu seinen allernächsten,
erzeugen in ihm einen lebhaften Eindruck, wecken oder erwärmen ihn
innerlich oder sprechen seine Phantasie und sein Gefühl an oder fordern
seine Anteilnahme und bereiten ihm weder Freude noch Schmerz, obwohl sie
ihn noch vor wenigen Jahren mit Begeisterung erfüllt und zu tausenderlei
Schöpfungen angeregt hatten. Er ist über seine eigene Unfruchtbarkeit,
Unrührbarkeit und Kälte selbst hilflos erstaunt und sieht sich,
nachdem er einstmals die größten Fähigkeiten besessen hatte,
nun völlig unfähig zu allem und jedem und sich selbst wie den
anderen unnütz. Das Leben erstirbt, wenn die Eigenliebe ihren Wirkungsbereich
eingebüßt hat. Jede Seelenkraft erlischt mit der Hoffnung. Ich
meine damit nur den Zustand beruhigter Verzweiflung; denn die wilde ist
voller Hoffnungen oder wenigstens Wünsche und giert noch im selben
Augenblick nach Glück, in dem sie Stahl oder Gift gegen sich selbst
richtet.
Völlig erloschen sind die Wünsche in einer Seele, die sich damit abgefunden hat, sie stets unerfüllt zu sehen, und die aufgrund vernünftiger Überlegung oder gar beider dazu herabsank, sie selbst einzuschläfern oder gar zu unterdrücken. Der Mensch, welcher sich selbst nichts mehr wünscht und sich selbst nicht mehr liebt, taugt auch für andere nichts. Alle Freuden, Leiden, Regungen und Taten, welche ihm die oben erwähnten Dinge, d.h. die Natur und alle übrigen Erscheinungen eingaben, bezogen sich in der ein oder anderen Weise auf ihn selbst, und ihr Lebenselement bestand in einer Rückkehr zu sich selbst. Jene einst so starke Seele büßte nun alles Wilde, jeden Menschenhass, Groll und Unwillen, ja jede Eigenliebe ein und hat kein Gefühl mehr für Tränen, dem Mitleid ist sie völlig verschlossen. Sie läßt sich noch dazu bewegen, Hilfe zu leihen, aber nicht mehr mit zu leiden. Sie wird noch Gutes tun und Beistand leisten, aber nur aus einer kalten Idee der Pflicht oder eher noch aus Gewohnheit, ohne das ein Gefühl sie dazu anspornte oder ihr daraus eine Freude entstünde. Die wahre und völlig befriedete Gleichgültigkeit gegenüber sich selbst bedeutet auch eine solche gegenüber allem anderen und damit eine Unfähigkeit zu allen Dingen, eine Vernichtung auch der von Natur größten und fruchtbarsten Seele.
aus dem Buch Die Untröstlichen
Völlig erloschen sind die Wünsche in einer Seele, die sich damit abgefunden hat, sie stets unerfüllt zu sehen, und die aufgrund vernünftiger Überlegung oder gar beider dazu herabsank, sie selbst einzuschläfern oder gar zu unterdrücken. Der Mensch, welcher sich selbst nichts mehr wünscht und sich selbst nicht mehr liebt, taugt auch für andere nichts. Alle Freuden, Leiden, Regungen und Taten, welche ihm die oben erwähnten Dinge, d.h. die Natur und alle übrigen Erscheinungen eingaben, bezogen sich in der ein oder anderen Weise auf ihn selbst, und ihr Lebenselement bestand in einer Rückkehr zu sich selbst. Jene einst so starke Seele büßte nun alles Wilde, jeden Menschenhass, Groll und Unwillen, ja jede Eigenliebe ein und hat kein Gefühl mehr für Tränen, dem Mitleid ist sie völlig verschlossen. Sie läßt sich noch dazu bewegen, Hilfe zu leihen, aber nicht mehr mit zu leiden. Sie wird noch Gutes tun und Beistand leisten, aber nur aus einer kalten Idee der Pflicht oder eher noch aus Gewohnheit, ohne das ein Gefühl sie dazu anspornte oder ihr daraus eine Freude entstünde. Die wahre und völlig befriedete Gleichgültigkeit gegenüber sich selbst bedeutet auch eine solche gegenüber allem anderen und damit eine Unfähigkeit zu allen Dingen, eine Vernichtung auch der von Natur größten und fruchtbarsten Seele.
aus dem Buch Die Untröstlichen
E.M. Cioran - Bildnis des Zivilisationsmenschen
(...) Niemand könnte leugnen, daß auch die
Natur verdorben ist, aber diese Verderbnis hat kein Datum, sie ist ein
unvordenkliches und unvermeidbares Übel, dem wir uns notgedrungen
anzupassen haben. Das Übel der Zivilisation jedoch ist aus unseren
Taten und Launen hervorgegangen und wirkt um so niederdrückender,
je zufälliger es uns erscheint, es trägt den Stempel einer Entscheidung
oder einer Willkür, eines vorbedachten, freiwilligen Verhängnisses,
zu Recht oder Unrecht glauben wir, es hätte garnicht eintreten müssen,
es habe nur an uns gelegen, es überhaupt nicht aufkommen zu lassen.
Dies läßt es uns vollends noch hassenswerter erscheinen, als
es ohnehin schon ist. Wir sind untröstlich darüber, derart subtile
Miseren aushalten zu müssen, wo doch die gröberen, aber im ganzen
erträglicheren, mit denen die Natur uns so verschwenderisch ausgestattet
hat, uns eigentlich genügen könnten.
Wären wir in der Lage, von unseren Wünschen loszukommen, so würden wir zugleich auch vom Schicksal loskommen; wir wären dann den Wesen, den Dingen und uns selbst überlegen. Nicht gewillt, uns weiter mit der Welt zu amalgamieren, würden wir durch das Opfer unserer Identität zur Freiheit gelangen, denn die ist untrennbar von einem Training in der Namenlosigkeit und in der Entsagung. "Ich bin niemand, ich habe meinen Namen besiegt!" So spricht einer, der sich nicht dazu erniedrigen will, Spuren zu hinterlassen (...).
Das Christentum hat uns zu wahnwitzigen Eiferern gemacht und uns damit unabsichtlich in die Lage versetzt, eine Zivilisation hervorzubringen, deren Opfer es jetzt geworden ist. Hat es nicht allzu viele Bedürfnisse, allzu viele Ansprüche in uns erschaffen? Anfangs waren diese Ansprüche, diese Bedürfnisse innerlicher Art, bald aber sanken sie ab und wandten sich nach außen. Die Inbrunst, der so viele nun plötzlich zum Schweigen gebrachte Gebete entströmt waren, konnte nicht einfach verschwinden und ohne Anwendung bleiben, sie mußte sich in den Dienst von Ersatzgöttern stellen, für deren Nichtigkeit sie sich Symbole zimmerte. Wir sehen uns Nachbildern des Unendlichen ausgeliefert, einem Absoluten ohne metaphysische Dimension preisgegeben, in die Geschwindigkeit statt in die Ekstase gestürzt. Das keuchende Eisenzeug, Echo unserer Emsigkeit, die Gespenster, die es handhaben. Aufmarsch von Automaten, Prozession von Halluzinierten! Wohin gehen sie? Was suchen sie? Welcher Wahnsinnswind reißt sie mit sich fort? Jedesmal wenn ich eine Neigung in mir verspüre, ihnen Nachsicht entgegenzubringen, wenn ich Zweifel bekomme an der Berechtigung des Widerwillens oder des Schreckens, den sie mir einjagen, brauche ich nur an die Landstraßen, wie sie am Sonntag aussehen, zu denken, und das Bild dieses motorisierten Ungeziefers bestärkt mich in meinem Ekel und in meinem Abscheu. (...)
In diesem Stadium müsste die Zivilisation wie ein Pakt mit dem Teufel erscheinen, wenn der Mensch noch eine Seele zu verkaufen hätte. Wurden diese Maschinen denn wirklich erfunden, um Zeit zu gewinnen? Hilfloser und enterbter als der Höhlenbewohner hat der Zivilisationsmensch nicht einen Augenblick mehr für sich alleine; sogar noch seine Mußestunden sind fieberhaft und bedrückend: Urlaub eines Sträflings, preisgegeben der Verdrossenheit des farniente und dem Alptraum der Badestrände. (...)
Da er trotz seiner Tollheit berechnend ist, bildet er sich ein, seine Sorgen und Kümmernisse wären geringer, wenn es ihm gelänge sie in der Form von "Entwicklungsprogrammen" den sogenannten "unterentwickelten" Völkern aufzuzwingen, denen er vorwirft, nicht "auf der Höhe" zu sein, das heißt nicht in besinnungslosem Wirbel. Um sie leichter zu Fall zu bringen, propft er ihnen das Gift der Angst auf und läßt sie nicht eher los, als bis er bei ihnen die gleichen Symptome von Tatenlust beobachtet hat. Um seinen Traum von einer atemlosen, hirnverbrannten und zeitversklavten Menschheit zu verwirklichen, durcheilt er die Kontinente, immer auf der Suche nach neuen Opfern, auf die er die Überflüsse seiner fiebernden Finsternis ergießen kann. Wenn man ihn anschaut, erkennt man die eigentliche Natur der Hölle: ist sie nicht der Ort, wo man für alle Ewigkeit zur Zeit verurteilt ist?
aus dem Buch Der Absturz in die Zeit
Wären wir in der Lage, von unseren Wünschen loszukommen, so würden wir zugleich auch vom Schicksal loskommen; wir wären dann den Wesen, den Dingen und uns selbst überlegen. Nicht gewillt, uns weiter mit der Welt zu amalgamieren, würden wir durch das Opfer unserer Identität zur Freiheit gelangen, denn die ist untrennbar von einem Training in der Namenlosigkeit und in der Entsagung. "Ich bin niemand, ich habe meinen Namen besiegt!" So spricht einer, der sich nicht dazu erniedrigen will, Spuren zu hinterlassen (...).
Das Christentum hat uns zu wahnwitzigen Eiferern gemacht und uns damit unabsichtlich in die Lage versetzt, eine Zivilisation hervorzubringen, deren Opfer es jetzt geworden ist. Hat es nicht allzu viele Bedürfnisse, allzu viele Ansprüche in uns erschaffen? Anfangs waren diese Ansprüche, diese Bedürfnisse innerlicher Art, bald aber sanken sie ab und wandten sich nach außen. Die Inbrunst, der so viele nun plötzlich zum Schweigen gebrachte Gebete entströmt waren, konnte nicht einfach verschwinden und ohne Anwendung bleiben, sie mußte sich in den Dienst von Ersatzgöttern stellen, für deren Nichtigkeit sie sich Symbole zimmerte. Wir sehen uns Nachbildern des Unendlichen ausgeliefert, einem Absoluten ohne metaphysische Dimension preisgegeben, in die Geschwindigkeit statt in die Ekstase gestürzt. Das keuchende Eisenzeug, Echo unserer Emsigkeit, die Gespenster, die es handhaben. Aufmarsch von Automaten, Prozession von Halluzinierten! Wohin gehen sie? Was suchen sie? Welcher Wahnsinnswind reißt sie mit sich fort? Jedesmal wenn ich eine Neigung in mir verspüre, ihnen Nachsicht entgegenzubringen, wenn ich Zweifel bekomme an der Berechtigung des Widerwillens oder des Schreckens, den sie mir einjagen, brauche ich nur an die Landstraßen, wie sie am Sonntag aussehen, zu denken, und das Bild dieses motorisierten Ungeziefers bestärkt mich in meinem Ekel und in meinem Abscheu. (...)
In diesem Stadium müsste die Zivilisation wie ein Pakt mit dem Teufel erscheinen, wenn der Mensch noch eine Seele zu verkaufen hätte. Wurden diese Maschinen denn wirklich erfunden, um Zeit zu gewinnen? Hilfloser und enterbter als der Höhlenbewohner hat der Zivilisationsmensch nicht einen Augenblick mehr für sich alleine; sogar noch seine Mußestunden sind fieberhaft und bedrückend: Urlaub eines Sträflings, preisgegeben der Verdrossenheit des farniente und dem Alptraum der Badestrände. (...)
Da er trotz seiner Tollheit berechnend ist, bildet er sich ein, seine Sorgen und Kümmernisse wären geringer, wenn es ihm gelänge sie in der Form von "Entwicklungsprogrammen" den sogenannten "unterentwickelten" Völkern aufzuzwingen, denen er vorwirft, nicht "auf der Höhe" zu sein, das heißt nicht in besinnungslosem Wirbel. Um sie leichter zu Fall zu bringen, propft er ihnen das Gift der Angst auf und läßt sie nicht eher los, als bis er bei ihnen die gleichen Symptome von Tatenlust beobachtet hat. Um seinen Traum von einer atemlosen, hirnverbrannten und zeitversklavten Menschheit zu verwirklichen, durcheilt er die Kontinente, immer auf der Suche nach neuen Opfern, auf die er die Überflüsse seiner fiebernden Finsternis ergießen kann. Wenn man ihn anschaut, erkennt man die eigentliche Natur der Hölle: ist sie nicht der Ort, wo man für alle Ewigkeit zur Zeit verurteilt ist?
aus dem Buch Der Absturz in die Zeit
Samstag, 12. Januar 2013
Radiosendung über E.M. Cioran
Hier gibt es eine interessante Radiosendung über E.M. Cioran, in der auch der Philosoph selbst in deutscher Sprache zu hören ist.
Der Schriftsteller und Philosoph E. M. Cioran
Der Schriftsteller und Philosoph E. M. Cioran
Sendung vom Freitag, 27.1.2006 | 8.30 Uhr | SWR2
Aus der Reihe: Schauplatz
Von Jürgen von Esenwein
Gerade 22 Jahre alt, wird E. M. Cioran in seinem 1934 erschienenen Erstlingswerk "Auf den Gipfeln der Verzweiflung" bekennen: "Die Tatsache, dass ich lebe, beweist, dass die Welt keinen Sinn hat. Denn wie könnte ich in der Ruhelosigkeit eines übermäßig erregten und unglücklichen Menschen, für den sich alles letztlich auf das Nichts beschränkt und über dem das Leiden als Weltgesetz waltet, einen Sinn aufspüren. ... Mir ist seltsam zumute, wenn ich bedenke, dass ich bereits zu einem Spezialisten des Todes geworden bin."
Seit Erscheinen dieses Buches hat Cioran seinen Weg als einer der größten Skeptiker des 20. Jahrhunderts konsequent fortgesetzt. Wohl deshalb hat er keine philosophische Theorie geschaffen, sondern in brillant geschliffener Sprache allgemein anerkannte Denkvorstellungen radikal in Zweifel gezogen und so Wege zu überraschenden neuen Einsichten gewiesen. Seine Antwort auf die ihm immer wieder gestellte Frage, was im Leben der Menschen wirklich zähle, lautet ebenso lapidar wie bitter. "Nichts zählt".
Von Jürgen von Esenwein
Gerade 22 Jahre alt, wird E. M. Cioran in seinem 1934 erschienenen Erstlingswerk "Auf den Gipfeln der Verzweiflung" bekennen: "Die Tatsache, dass ich lebe, beweist, dass die Welt keinen Sinn hat. Denn wie könnte ich in der Ruhelosigkeit eines übermäßig erregten und unglücklichen Menschen, für den sich alles letztlich auf das Nichts beschränkt und über dem das Leiden als Weltgesetz waltet, einen Sinn aufspüren. ... Mir ist seltsam zumute, wenn ich bedenke, dass ich bereits zu einem Spezialisten des Todes geworden bin."
Seit Erscheinen dieses Buches hat Cioran seinen Weg als einer der größten Skeptiker des 20. Jahrhunderts konsequent fortgesetzt. Wohl deshalb hat er keine philosophische Theorie geschaffen, sondern in brillant geschliffener Sprache allgemein anerkannte Denkvorstellungen radikal in Zweifel gezogen und so Wege zu überraschenden neuen Einsichten gewiesen. Seine Antwort auf die ihm immer wieder gestellte Frage, was im Leben der Menschen wirklich zähle, lautet ebenso lapidar wie bitter. "Nichts zählt".
VHEMT - The Voluntary Human Extinction Movement
"Das langsame Aussterben der menschlichen Rasse durch freiwilliges Aufgeben
der Fortpflanzung wird es dem Leben auf der Erde ermöglichen, wieder
einen gesunden Zustand zu erreichen. Die Enge und die Rohstoffknappheit
werden nachlassen, wenn die Bevölkerung zurückgeht."
Zur VHEMT-Website
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Eels - In the yard, behind the church
Album: Blinking Lights and other Revelations
Genre: Indie Rock
Filmempfehlung: Das große Fressen
"Vier nicht mehr ganz junge, wohlhabende Freunde treffen sich am
Wochenende in einer Villa, um sich dort genussvoll zu Tode zu essen.
Während Koch Ugo die raffiniertesten Speisen kreiert, gelüstet es
Marcello auch nach weiblicher Gesellschaft und er ruft drei
Prostituierte hinzu. Vervollständigt wird die Gruppe durch die üppige
Lehrerin Andrea, an der besonders der Richter Philippe Geschmack findet.
Allerdings können die Frauen die Männer nicht lange von ihrem
eigentlichen Ziel abhalten..."
Das große Fressen
Das große Fressen
Donnerstag, 10. Januar 2013
Schwarz auf Weiß
Da ich von einigen Lesern den Hinweis bekam, dass man von weißer Schrift auf schwarzem Grund bei längerem Lesen Augenkrebs bekommt, hab ich mal das Licht eingeschaltet.
Zitatensammlung IV
Dieser Welt, diesem Tummelplatz gequälter und geängstigter
Wesen, welche nur dadurch bestehen, daß eines das andere verzehrt,
wo daher jedes reißende Tier das lebendige Grab tausend anderer und
seine Selbsterhaltung eine Kette von Martertoden ist, wo sodann mit der Erkenntnis
die Fähigkeit, Schmerz zu empfinden, wächst, welche dadurch im
Menschen ihren höchsten Grad erreicht und einen um so höheren,
je intelligenter er ist - dieser Welt hat man das System des Optimismus anpassen
und sie uns als die beste aller möglichen andemonstrieren wollen.
Die Absurdität ist schreiend - Inzwischen heißt ein Optimist
mich die Augen öffnen und hineinsehen in die Welt, wie sie so schön
sei, im Sonnenschein mit ihren Bergen, Tälern, Strömen, Pflanzen,
Tieren usw. - Aber ist denn die Welt ein Guckkasten? Zu sehen sind diese
Dinge freilich schön, aber sie zu sein ist etwas ganz anderes.
Meißtens verschließen wir uns der, einer bitteren Arznei zu vergleichenden Erkenntniß, daß das Leiden dem Leben wesentlich ist und daher nicht von außen auf uns einströmt, sondern jeder die unversiegbare Quelle desselben in seinem eigenen Innern herumträgt. Wir suchen vielmehr zu dem nie von uns weichenden Schmerz stets eine äußere einzelne Ursache, gleichsam einen Vorwand; wie der Freie sich einen Götzen bildet, um einen Herrn zu haben. Denn unermüdlich streben wir von Wunsch zu Wunsch, und wenn gleich jede erlangte Befriedigung, soviel sie auch verhieß, uns doch nicht befriedigt, sondern meistens bald als beschämender Irrtum dasteht, sehen wir doch nicht ein, daß wir mit dem Faß der Danaiden schöpfen; sondern eilen zu immer neuen Wünschen. So geht es denn entweder ins Unendliche, oder, was seltener ist und schon eine gewisse Kraft des Charakters voraussetzt, bis wir auf einen Wunsch treffen, der nicht erfüllt und doch nicht aufgegeben werden kann: dann haben wir gleichsam, was wir suchten, nämlich etwas, das wir jeden Augenblick, statt unseres eigenen Wesens, als die Quelle unserer Leiden anklagen können, und wodurch wir nun mit unserem Schicksal entzweit, dafür aber mit unserer Existenz versöhnt werden, indem die Erkenntnis sich wieder entfernt, daß dieser Existenz selbst das Leiden wesentlich und wahre Befriedigung unmöglich sei. Die Folge dieser letzten Entwicklungsart ist eine etwas melancholische Stimmung, das beständige Tragen eines einzigen, großen Schmerzes und daraus entstehende Geringschätzung aller kleineren Leiden oder Freuden; folglich eine schon würdigere Erscheinung, als das stete Haschen nach immer anderen Trugbildern, welches viel gewöhnlicher ist.
Arthur Schopenhauer
Was ist nun die im Kern unseres Innern sich entschleiernde Kraft? Es ist der Wille zum Leben. Wann immer wir auch den Weg nach innen betreten - mögen wir uns in scheinbarer Ruhe und Gleichgültigkeit antreffen, mögen wir selig erbeben unter dem Kusse des Schönen, mögen wir rasen und toben in wildester Leidenschaft oder zerfließen in Mitleid, mögen wir "himmelhoch jauchzen" oder "zum Tode betrübt sein" - immer sind wir Wille zum Leben. Wir wollen da sein, immer da sein; weil wir das Dasein wollen, verbleiben wir im Dasein. Der Wille zum Leben ist der innerste Kern unseres Wesens; er ist immer tätig, wenn auch oft nicht an der Oberfläche. Um sich hiervon zu übrzeugen, bringe man das ermattetste Individuum in wirkliche Todesgefahr und der Wille zum Leben wird sich enthüllen, in allen Zügen mit entsetzlicher Deutlichkeit die Begierde nach Dasein tragend: sein Heißhunger nach Leben ist unersättlich.
Wenn aber der Mensch das Leben wirklich nicht mehr will, so vernichtet er sich auch sofort durch die Tat. Die meisten wünschen sich nur den Tod, sie wollen ihn nicht.
Der gewöhnliche Mensch geht ganz im Leben auf; er zerbricht sich nicht den Kopf über die Welt, er fragt sich weder: woher komme ich? noch: wohin gehe ich? Seine irdischen Ziele hat er immer fest im Auge. Der Weise, auf der anderen Seite, lebt in einer engen Sphäre, die er selbst um sich gezogen hat, und ist sich - auf welchem Wege ist ganz gleichgültig - klar über sich und die Welt geworden. Jeder von beiden ruht fest auf sich selbst. Nicht so der Humorist. Er hat den Frieden des Weisen gekostet; er hat die Seligkeit des ästhetischen Zustandes empfunden; er ist Gast gewesen an der Tafel der Götter; er hat gelebt in einem Äther von durchsichtiger Klarheit. Und dennoch zieht ihn eine unwiderstehliche Gewalt zurück in den Schlamm der Welt. Er entflieht ihm, weil er nur ein einziges Streben, das Streben nach der Ruhe des Grabes, billigen kann und alles andere als Torheit verwerfen muß; aber immer und immer wieder locken ihn die Sirenen zurück in den Strudel, und er tanzt und hüpft im schwülen Saale, tiefe Sehnsucht nach Ruhe und Frieden im Herzen; denn man kan ihn das Kind eines Engels und eine Tochter der Menschen nennen. Er gehört zwei Welten an, weil ihm die Kraft fehlt, einer von ihnen zu entsagen. Im Festsaale der Götter stört seine reine Freude ein Ruf von unten, und wirft er sich unten der Lust in die Arme, vergällt ihm die Sehnsucht nach oben den reinen Genuß. So wird sein Dämon hin- und hergeworfen und fühlt sich wie zerrissen. Die Grundstimmung des Humoristen ist Unlust.
Philip Mainländer
Meißtens verschließen wir uns der, einer bitteren Arznei zu vergleichenden Erkenntniß, daß das Leiden dem Leben wesentlich ist und daher nicht von außen auf uns einströmt, sondern jeder die unversiegbare Quelle desselben in seinem eigenen Innern herumträgt. Wir suchen vielmehr zu dem nie von uns weichenden Schmerz stets eine äußere einzelne Ursache, gleichsam einen Vorwand; wie der Freie sich einen Götzen bildet, um einen Herrn zu haben. Denn unermüdlich streben wir von Wunsch zu Wunsch, und wenn gleich jede erlangte Befriedigung, soviel sie auch verhieß, uns doch nicht befriedigt, sondern meistens bald als beschämender Irrtum dasteht, sehen wir doch nicht ein, daß wir mit dem Faß der Danaiden schöpfen; sondern eilen zu immer neuen Wünschen. So geht es denn entweder ins Unendliche, oder, was seltener ist und schon eine gewisse Kraft des Charakters voraussetzt, bis wir auf einen Wunsch treffen, der nicht erfüllt und doch nicht aufgegeben werden kann: dann haben wir gleichsam, was wir suchten, nämlich etwas, das wir jeden Augenblick, statt unseres eigenen Wesens, als die Quelle unserer Leiden anklagen können, und wodurch wir nun mit unserem Schicksal entzweit, dafür aber mit unserer Existenz versöhnt werden, indem die Erkenntnis sich wieder entfernt, daß dieser Existenz selbst das Leiden wesentlich und wahre Befriedigung unmöglich sei. Die Folge dieser letzten Entwicklungsart ist eine etwas melancholische Stimmung, das beständige Tragen eines einzigen, großen Schmerzes und daraus entstehende Geringschätzung aller kleineren Leiden oder Freuden; folglich eine schon würdigere Erscheinung, als das stete Haschen nach immer anderen Trugbildern, welches viel gewöhnlicher ist.
Arthur Schopenhauer
Was ist nun die im Kern unseres Innern sich entschleiernde Kraft? Es ist der Wille zum Leben. Wann immer wir auch den Weg nach innen betreten - mögen wir uns in scheinbarer Ruhe und Gleichgültigkeit antreffen, mögen wir selig erbeben unter dem Kusse des Schönen, mögen wir rasen und toben in wildester Leidenschaft oder zerfließen in Mitleid, mögen wir "himmelhoch jauchzen" oder "zum Tode betrübt sein" - immer sind wir Wille zum Leben. Wir wollen da sein, immer da sein; weil wir das Dasein wollen, verbleiben wir im Dasein. Der Wille zum Leben ist der innerste Kern unseres Wesens; er ist immer tätig, wenn auch oft nicht an der Oberfläche. Um sich hiervon zu übrzeugen, bringe man das ermattetste Individuum in wirkliche Todesgefahr und der Wille zum Leben wird sich enthüllen, in allen Zügen mit entsetzlicher Deutlichkeit die Begierde nach Dasein tragend: sein Heißhunger nach Leben ist unersättlich.
Wenn aber der Mensch das Leben wirklich nicht mehr will, so vernichtet er sich auch sofort durch die Tat. Die meisten wünschen sich nur den Tod, sie wollen ihn nicht.
Der gewöhnliche Mensch geht ganz im Leben auf; er zerbricht sich nicht den Kopf über die Welt, er fragt sich weder: woher komme ich? noch: wohin gehe ich? Seine irdischen Ziele hat er immer fest im Auge. Der Weise, auf der anderen Seite, lebt in einer engen Sphäre, die er selbst um sich gezogen hat, und ist sich - auf welchem Wege ist ganz gleichgültig - klar über sich und die Welt geworden. Jeder von beiden ruht fest auf sich selbst. Nicht so der Humorist. Er hat den Frieden des Weisen gekostet; er hat die Seligkeit des ästhetischen Zustandes empfunden; er ist Gast gewesen an der Tafel der Götter; er hat gelebt in einem Äther von durchsichtiger Klarheit. Und dennoch zieht ihn eine unwiderstehliche Gewalt zurück in den Schlamm der Welt. Er entflieht ihm, weil er nur ein einziges Streben, das Streben nach der Ruhe des Grabes, billigen kann und alles andere als Torheit verwerfen muß; aber immer und immer wieder locken ihn die Sirenen zurück in den Strudel, und er tanzt und hüpft im schwülen Saale, tiefe Sehnsucht nach Ruhe und Frieden im Herzen; denn man kan ihn das Kind eines Engels und eine Tochter der Menschen nennen. Er gehört zwei Welten an, weil ihm die Kraft fehlt, einer von ihnen zu entsagen. Im Festsaale der Götter stört seine reine Freude ein Ruf von unten, und wirft er sich unten der Lust in die Arme, vergällt ihm die Sehnsucht nach oben den reinen Genuß. So wird sein Dämon hin- und hergeworfen und fühlt sich wie zerrissen. Die Grundstimmung des Humoristen ist Unlust.
Philip Mainländer
Montag, 7. Januar 2013
Buchempfehlung: E.M. Cioran - Der zersplitterte Fluch
Eine kleine Auswahl an Aphorismen:
Ich war weit gegangen, um die Sonne zu suchen, und als ich sie endlich fand, war sie mir feindlich gesinnt. Sollte ich mich von der Höhe der Klippen stürzen? Während ich eher düstere Betrachtungen anstellte und dabei die Kiefern, die Felsen, die Wellen anschaute, fühlte ich plötzlich wie sehr ich an diesem schönen, verwünschten Universum haftete.
Folgte ich meiner ersten Regung, so würde ich die Tage damit verbringen, Schimpf- und Abschiedsbriefe zu schreiben.
Wenn eine Regierung mitten im Sommer verordnen würde, daß die Ferien unbegrenzt verlängert werden und daß unter Todesstrafe niemand das Paradies verlassen darf, in dem er sich gerade aufhält, hätte dies massenhafte Selbstmorde und beispiellose Blutbäder zur Folge.
Ich bildete mir ein, zu meinen Lebzeiten dem Verschwinden unserer Gattung beizuwohnen. Aber die Götter waren gegen mich.
Der Mensch ist nicht damit einverstanden, Mensch zu sein. Aber er weiß nicht, wohin er zurückkehren noch wie er den Zustand wiedererlangen soll, an den er sich nicht mehr erinnern kann. Das Heimweh danach bildet den Grundton seines Wesens, dank dieser Trauer kommuniziert er mit dem, was in ihm am ursprünglichsten ist.
Hätte ich auf meine Impulse gehört, so wäre ich heute irre oder längst gehängt.
Nicht durch Genialität, durch Leiden und allein dadurch hört man auf, eine Marionette zu sein.
Ich war weit gegangen, um die Sonne zu suchen, und als ich sie endlich fand, war sie mir feindlich gesinnt. Sollte ich mich von der Höhe der Klippen stürzen? Während ich eher düstere Betrachtungen anstellte und dabei die Kiefern, die Felsen, die Wellen anschaute, fühlte ich plötzlich wie sehr ich an diesem schönen, verwünschten Universum haftete.
Folgte ich meiner ersten Regung, so würde ich die Tage damit verbringen, Schimpf- und Abschiedsbriefe zu schreiben.
Wenn eine Regierung mitten im Sommer verordnen würde, daß die Ferien unbegrenzt verlängert werden und daß unter Todesstrafe niemand das Paradies verlassen darf, in dem er sich gerade aufhält, hätte dies massenhafte Selbstmorde und beispiellose Blutbäder zur Folge.
Ich bildete mir ein, zu meinen Lebzeiten dem Verschwinden unserer Gattung beizuwohnen. Aber die Götter waren gegen mich.
Der Mensch ist nicht damit einverstanden, Mensch zu sein. Aber er weiß nicht, wohin er zurückkehren noch wie er den Zustand wiedererlangen soll, an den er sich nicht mehr erinnern kann. Das Heimweh danach bildet den Grundton seines Wesens, dank dieser Trauer kommuniziert er mit dem, was in ihm am ursprünglichsten ist.
Hätte ich auf meine Impulse gehört, so wäre ich heute irre oder längst gehängt.
Nicht durch Genialität, durch Leiden und allein dadurch hört man auf, eine Marionette zu sein.
Buchempfehlung: Ulrich Horstmann - Der lange Schatten der Melancholie
Auszug:
"Wie Schwermut in der Medizin als das Ungesunde, in der Theologie als das Heillose an sich in den Blick rückt, so entsteht auch im Kontext der Aufklärung diese fundamentale Gegenbildlichkeit, die die Vehemenz der Abstoßungsreaktion nicht zuletzt als ein Nichtwahrhabenwollen der Komplementärfarben des eigenen rosaroten Weltbildes erscheinen läßt. Die Aufklärung bekämpft mit der Melancholie die verbotene Wahrheit über sich selbst, die Einsicht in die Nachtseite jener lichten und optimistischen Vernunft, "die ihre ideale Selbstdarstellung in Begriffen wie Geselligkeit, Menschenliebe, Zärtlichkeit, Freundschaft, Mitleid, Liebe, Gehorsam, Sparsamkeit zu finden glaubt" und die das Insistieren auf dem, was ganz anders, dafür aber der Fall ist, als rückschrittliche Wirklichkeitsblindheit und Misanthropie an ihren utopischen Pranger stellt.
Das neuzeitliche Projekt der kalkulierten Melioration und immanenten Reparadiesierung menschlicher Existenz ist nicht minder totalitär als das christliche der Weltüberwindung oder das medizinische der Erhaltung quicklebendiger Jugendfrische möglichst bis zur letzten Agonie. Und entsprechend bildet sich auch hier die Strategie der Vertilgung alles Widerborstigen und Unbelehrbaren heraus, die jetzt der Weltverachtung und Jammertalserfahrung der Religion ebenso gilt wie dem bodenlosen Schwindel und Sinnzerfall eines schwarzgalligen Skeptizismus."
"Wie Schwermut in der Medizin als das Ungesunde, in der Theologie als das Heillose an sich in den Blick rückt, so entsteht auch im Kontext der Aufklärung diese fundamentale Gegenbildlichkeit, die die Vehemenz der Abstoßungsreaktion nicht zuletzt als ein Nichtwahrhabenwollen der Komplementärfarben des eigenen rosaroten Weltbildes erscheinen läßt. Die Aufklärung bekämpft mit der Melancholie die verbotene Wahrheit über sich selbst, die Einsicht in die Nachtseite jener lichten und optimistischen Vernunft, "die ihre ideale Selbstdarstellung in Begriffen wie Geselligkeit, Menschenliebe, Zärtlichkeit, Freundschaft, Mitleid, Liebe, Gehorsam, Sparsamkeit zu finden glaubt" und die das Insistieren auf dem, was ganz anders, dafür aber der Fall ist, als rückschrittliche Wirklichkeitsblindheit und Misanthropie an ihren utopischen Pranger stellt.
Das neuzeitliche Projekt der kalkulierten Melioration und immanenten Reparadiesierung menschlicher Existenz ist nicht minder totalitär als das christliche der Weltüberwindung oder das medizinische der Erhaltung quicklebendiger Jugendfrische möglichst bis zur letzten Agonie. Und entsprechend bildet sich auch hier die Strategie der Vertilgung alles Widerborstigen und Unbelehrbaren heraus, die jetzt der Weltverachtung und Jammertalserfahrung der Religion ebenso gilt wie dem bodenlosen Schwindel und Sinnzerfall eines schwarzgalligen Skeptizismus."
Donnerstag, 3. Januar 2013
100 Tage Endzeit oder Die Revolution aus Nichts
Die Natur ist, objektiv betrachtet, grausam und gegen sich selbst gerichtet. Sie ist ein Reich des gegenseitigen
Verschlingens und Auslöschens, des Tötens um zu Überleben,
des ewigen Kampfes. Daran ändert die äußerliche Schönheit
und die scheinbare Harmonie der Dinge nichts, denn sobald man vom schönen
Schein absieht, erkennt man den blinden und letztlich sinnlosen Lebenswillen,
der all dies antreibt und die Zahnräder der Vernichtungs-und-Entstehungsmaschine
weiterlaufen läßt. Aus dieser natürlichen Hölle ist
der Mensch aufgestiegen, hat sich abgekapselt aus dem System des allgegenwärtigen
Überlebenskampfes und macht nun "sein eigenes Ding" mit eigenen Gesetzen.
Wen kann es allerdings bei dieser Herkunft aus dem intergalaktischen Schlachthof
noch überraschen, dass auch seine Gesetze ihm kein Glück
und keinen Frieden gebracht haben. Vielmehr haben sie ihm das Dasein noch
erschwert, denn anstatt ihm das Paradies auf Erden zu schenken, haben sie
ihn isoliert vom natürlichen Lauf der Dinge, wodurch ihm etwas in
Scherben gegangen ist, etwas nicht Greifbares, was dennoch immer, in jedem
Augenblick, fehlt. Der Mensch lebt daher in einer doppelten Hölle,
in der natürlichen und der eigenen. Aus der verloren gegangenen
Zugehörigkeit zur Natur entspringt unser ewiges Streben nach Glück,
Frieden und Harmonie, welches niemals erfüllt wird - und selbst wenn
es erfüllt würde, was könnten wir anderes finden als eine
dritte Hölle (etwa Mainländers "idealen Staat", in dem die Menschen
tatsächlich, nicht metaphorisch, vor Langeweile sterben) oder
eben wieder die erste, aus der wir einst aufgestiegen sind?
Ein Vorschlag zur Güte: Lasst uns E.M. Ciorans Vision folgen und "die gesamte Schöpfung für einen Augenblick in absolute Agonie versetzen" um sie dann wieder daraus zu erlösen und neu auferstehen zu lassen. Realistisch betrachtet haben wir keinen Einfluss auf die gesamte Schöpfung und nicht einmal auf die gesamte Menschheit und man muß die "Agonie" vielleicht nicht einmal wörtlich nehmen. Nach all den Jahrtausenden an Heilsrezepten zur ewigen "Verbesserung", immer in der festen Überzeugung, der neue Garten Eden befände sich schon hinter der nächsten Steilwand, so dass sich die Mühe lohnt, auch wenn die Hälfte der Artgenossen auf der Strecke bleibt - was bleibt uns da noch anderes übrig, als das Eingeständnis, versagt zu haben, ein allgemeines Hände-in-den-Schoß-legen, ein kollektives Aufgeben. Ich nenne dieses Programm 100 Tage Endzeit oder Die Revolution aus Nichts. 100 Tage lang keine Entscheidungen, keine Beschlüsse, keine Arbeit, keine Kriege, keine Maßnahmen, kein Handel, keine Börsencrashs, keine Debatten, keine Besserwissereien, keine Konfliktlösungsvorschläge, kein industrialisierter Tier-Massenmord, keine Militärparaden, keine Cocktailparties, keine Staatsempfänge, keine Sonderangebote, keine 1.425 Fernsehsender, kein Internet, kein Handynetz, keine Ablenkung von unseren kleinen, unbedeutenden, nichtigen Existenzen, von denen trotzdem jede eine eigene Welt für sich ist.
Wer weiß, wozu das führt?
Ein Vorschlag zur Güte: Lasst uns E.M. Ciorans Vision folgen und "die gesamte Schöpfung für einen Augenblick in absolute Agonie versetzen" um sie dann wieder daraus zu erlösen und neu auferstehen zu lassen. Realistisch betrachtet haben wir keinen Einfluss auf die gesamte Schöpfung und nicht einmal auf die gesamte Menschheit und man muß die "Agonie" vielleicht nicht einmal wörtlich nehmen. Nach all den Jahrtausenden an Heilsrezepten zur ewigen "Verbesserung", immer in der festen Überzeugung, der neue Garten Eden befände sich schon hinter der nächsten Steilwand, so dass sich die Mühe lohnt, auch wenn die Hälfte der Artgenossen auf der Strecke bleibt - was bleibt uns da noch anderes übrig, als das Eingeständnis, versagt zu haben, ein allgemeines Hände-in-den-Schoß-legen, ein kollektives Aufgeben. Ich nenne dieses Programm 100 Tage Endzeit oder Die Revolution aus Nichts. 100 Tage lang keine Entscheidungen, keine Beschlüsse, keine Arbeit, keine Kriege, keine Maßnahmen, kein Handel, keine Börsencrashs, keine Debatten, keine Besserwissereien, keine Konfliktlösungsvorschläge, kein industrialisierter Tier-Massenmord, keine Militärparaden, keine Cocktailparties, keine Staatsempfänge, keine Sonderangebote, keine 1.425 Fernsehsender, kein Internet, kein Handynetz, keine Ablenkung von unseren kleinen, unbedeutenden, nichtigen Existenzen, von denen trotzdem jede eine eigene Welt für sich ist.
Wer weiß, wozu das führt?
Mittwoch, 2. Januar 2013
Hashima Island - Impressionen aus der Menschenleere
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