Auszug:
"Wie Schwermut in der Medizin als das Ungesunde, in der
Theologie als das Heillose an sich in den Blick rückt, so entsteht
auch im Kontext der Aufklärung diese fundamentale Gegenbildlichkeit,
die die Vehemenz der Abstoßungsreaktion nicht zuletzt als ein Nichtwahrhabenwollen
der Komplementärfarben des eigenen rosaroten Weltbildes erscheinen
läßt. Die Aufklärung bekämpft mit der Melancholie
die verbotene Wahrheit über sich selbst, die Einsicht in die Nachtseite
jener lichten und optimistischen Vernunft, "die ihre ideale Selbstdarstellung
in Begriffen wie Geselligkeit, Menschenliebe, Zärtlichkeit, Freundschaft,
Mitleid, Liebe, Gehorsam, Sparsamkeit zu finden glaubt" und die das Insistieren
auf dem, was ganz anders, dafür aber der Fall ist, als rückschrittliche
Wirklichkeitsblindheit und Misanthropie an ihren utopischen Pranger stellt.
Das neuzeitliche Projekt der kalkulierten Melioration
und immanenten Reparadiesierung menschlicher Existenz ist nicht minder
totalitär als das christliche der Weltüberwindung oder das medizinische
der Erhaltung quicklebendiger Jugendfrische möglichst bis zur letzten
Agonie. Und entsprechend bildet sich auch hier die Strategie der Vertilgung
alles Widerborstigen und Unbelehrbaren heraus, die jetzt der Weltverachtung
und Jammertalserfahrung der Religion ebenso gilt wie dem bodenlosen Schwindel
und Sinnzerfall eines schwarzgalligen Skeptizismus."
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