Dieser Welt, diesem Tummelplatz gequälter und geängstigter
Wesen, welche nur dadurch bestehen, daß eines das andere verzehrt,
wo daher jedes reißende Tier das lebendige Grab tausend anderer und
seine Selbsterhaltung eine Kette von Martertoden ist, wo sodann mit der Erkenntnis
die Fähigkeit, Schmerz zu empfinden, wächst, welche dadurch im
Menschen ihren höchsten Grad erreicht und einen um so höheren,
je intelligenter er ist - dieser Welt hat man das System des Optimismus anpassen
und sie uns als die beste aller möglichen andemonstrieren wollen.
Die Absurdität ist schreiend - Inzwischen heißt ein Optimist
mich die Augen öffnen und hineinsehen in die Welt, wie sie so schön
sei, im Sonnenschein mit ihren Bergen, Tälern, Strömen, Pflanzen,
Tieren usw. - Aber ist denn die Welt ein Guckkasten? Zu sehen sind diese
Dinge freilich schön, aber sie zu sein ist etwas ganz anderes.
Meißtens verschließen wir uns der, einer bitteren
Arznei zu vergleichenden Erkenntniß, daß das Leiden dem Leben
wesentlich ist und daher nicht von außen auf uns einströmt,
sondern jeder die unversiegbare Quelle desselben in seinem eigenen Innern
herumträgt. Wir suchen vielmehr zu dem nie von uns weichenden Schmerz
stets eine äußere einzelne Ursache, gleichsam einen Vorwand;
wie der Freie sich einen Götzen bildet, um einen Herrn zu haben. Denn
unermüdlich streben wir von Wunsch zu Wunsch, und wenn gleich jede
erlangte Befriedigung, soviel sie auch verhieß, uns doch nicht befriedigt,
sondern meistens bald als beschämender Irrtum dasteht, sehen wir doch
nicht ein, daß wir mit dem Faß der Danaiden schöpfen;
sondern eilen zu immer neuen Wünschen. So geht es denn entweder ins
Unendliche, oder, was seltener ist und schon eine gewisse Kraft des Charakters
voraussetzt, bis wir auf einen Wunsch treffen, der nicht erfüllt
und doch nicht aufgegeben werden kann: dann haben wir gleichsam, was wir
suchten, nämlich etwas, das wir jeden Augenblick, statt unseres eigenen
Wesens, als die Quelle unserer Leiden anklagen können, und wodurch
wir nun mit unserem Schicksal entzweit, dafür aber mit unserer Existenz
versöhnt werden, indem die Erkenntnis sich wieder entfernt, daß
dieser Existenz selbst das Leiden wesentlich und wahre Befriedigung unmöglich
sei. Die Folge dieser letzten Entwicklungsart ist eine etwas melancholische
Stimmung, das beständige Tragen eines einzigen, großen Schmerzes
und daraus entstehende Geringschätzung aller kleineren Leiden oder
Freuden; folglich eine schon würdigere Erscheinung, als das stete
Haschen nach immer anderen Trugbildern, welches viel gewöhnlicher
ist.
Arthur Schopenhauer
Was ist nun die im Kern unseres Innern sich entschleiernde
Kraft? Es ist der Wille zum Leben. Wann immer wir auch den Weg nach innen
betreten - mögen wir uns in scheinbarer Ruhe und Gleichgültigkeit
antreffen, mögen wir selig erbeben unter dem Kusse des Schönen,
mögen wir rasen und toben in wildester Leidenschaft oder zerfließen
in Mitleid, mögen wir "himmelhoch jauchzen" oder "zum Tode betrübt
sein" - immer sind wir Wille zum Leben. Wir wollen da sein, immer da sein;
weil wir das Dasein wollen, verbleiben wir im Dasein. Der Wille zum Leben
ist der innerste Kern unseres Wesens; er ist immer tätig, wenn auch
oft nicht an der Oberfläche. Um sich hiervon zu übrzeugen, bringe
man das ermattetste Individuum in wirkliche Todesgefahr und der Wille zum
Leben wird sich enthüllen, in allen Zügen mit entsetzlicher Deutlichkeit
die Begierde nach Dasein tragend: sein Heißhunger nach Leben ist
unersättlich.
Wenn aber der Mensch das Leben wirklich nicht mehr will,
so vernichtet er sich auch sofort durch die Tat. Die meisten wünschen
sich nur den Tod, sie wollen ihn nicht.
Der gewöhnliche Mensch geht ganz im Leben auf; er
zerbricht sich nicht den Kopf über die Welt, er fragt sich weder:
woher komme ich? noch: wohin gehe ich? Seine irdischen Ziele hat er immer
fest im Auge. Der Weise, auf der anderen Seite, lebt in einer engen Sphäre,
die er selbst um sich gezogen hat, und ist sich - auf welchem Wege ist
ganz gleichgültig - klar über sich und die Welt geworden. Jeder
von beiden ruht fest auf sich selbst. Nicht so der Humorist. Er hat den
Frieden des Weisen gekostet; er hat die Seligkeit des ästhetischen
Zustandes empfunden; er ist Gast gewesen an der Tafel der Götter;
er hat gelebt in einem Äther von durchsichtiger Klarheit. Und dennoch
zieht ihn eine unwiderstehliche Gewalt zurück in den Schlamm der Welt.
Er entflieht ihm, weil er nur ein einziges Streben, das Streben nach der
Ruhe des Grabes, billigen kann und alles andere als Torheit verwerfen muß;
aber immer und immer wieder locken ihn die Sirenen zurück in den Strudel,
und er tanzt und hüpft im schwülen Saale, tiefe Sehnsucht nach
Ruhe und Frieden im Herzen; denn man kan ihn das Kind eines Engels und
eine Tochter der Menschen nennen. Er gehört zwei Welten an, weil ihm
die Kraft fehlt, einer von ihnen zu entsagen. Im Festsaale der Götter
stört seine reine Freude ein Ruf von unten, und wirft er sich unten
der Lust in die Arme, vergällt ihm die Sehnsucht nach oben den reinen
Genuß. So wird sein Dämon hin- und hergeworfen und fühlt
sich wie zerrissen. Die Grundstimmung des Humoristen ist Unlust.
Philip Mainländer
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