Man denke sich ein Mal, daß der Zeugungsakt weder ein
Bedürfniß, noch von Wollust begleitet, sondern eine Sache der
reinen, vernünftigen Überlegung wäre: könnte wohl dann
das Menschengeschlecht noch bestehen? Würde nicht vielmehr Jeder so
viel Mitleid mit der kommenden Generation gehabt haben, daß er ihr
die Last des Daseins lieber erspart, oder wenigstens es nicht hätte
auf sich nehmen mögen, sie kaltblütig ihr aufzulegen? - Die Welt
ist eben die Hölle, und die Menschen sind einerseits die gequälten
Seelen und andererseits die Teufel darin.
Da werde ich wohl wieder vernehmen müssen, meine
Philosophie sei trostlos; eben nur weil ich nach der Wahrheit rede, die
Leute aber hören wollen, Gott der Herr habe alles wohlgemacht. Geht
in die Kirche und laßt die Philosophen in Ruhe!
(...)
Um allezeit einen sichern Kompaß, zur Orientierung
im Leben, bei der Hand zu haben, und um dasselbe, ohne je irre zu werden,
stets im richtigen Lichte zu erblicken, ist nichts tauglicher, als daß
man sich angewöhne, diese Welt zu betrachten als einen Ort der Buße,
also gleichsam als eine Strafanstalt, eine Strafkolonie, ein Arbeitslager.
(...) Hat man jene Gewohnheit angenommen; so wird man seine Erwartungen
vom Leben so stellen, wie sie der Sache angemessen sind, und demnach die
Widerwärtigkeiten, Leiden, Plagen und Not desselben, im Großen
und im Kleinen, nicht mehr als etwas Regelwidriges und Unerwartetes ansehn,
sondern ganz in der Ordnung finden, wohl wissend, daß hier Jeder
für sein Dasein gestraft wird, und zwar Jeder auf seine Weise. Zu
den Übeln einer Strafanstalt gehört dann auch die Gesellschaft,
welche man daselbst antrifft. Wie es um diese hieselbst stehe, wird, wer
irgendwie einer besseren würdig wäre, auch ohne mein Sagen wissen.
Der schönen Seele nun gar, wie auch dem Genie, mag bisweilen darin
zu Mute sein, wie einem edlen Staatsgefangenen, auf der Galeere, unter
gemeinen Verbrechern; daher sie, wie dieser, suchen werden, sich zu isolieren.
Überhaupt jedoch wird besagte Auffassung uns befähigen, die sogenannten
Unvollkommenheiten (...) der meisten Menschen, ohne Befremden, geschweige
mit Entrüstung, zu betrachten: denn wir werden stets im Sinne behalten,
wo wir sind, folglich jeden ansehen zunächst als ein Wesen, welches
nur in Folge seiner Sündhaftigkeit existiert, dessen Leben die Abbüßung
der Schuld seiner Geburt ist. (...) In der Tat ist die Überzeugung,
daß die Welt, also auch der Mensch, etwas ist, das eigentlich nicht
sein sollte, geeignet, uns mit Nachsicht gegen einander zu erfüllen:
denn was kann man von Wesen unter solchem Prädikament erwarten?
- Ja, von diesem Gesichtspunkt aus könnte man auf den Gedanken kommen,
daß die eigentlich passende Anrede zwischen Mensch und Mensch "Leidensgefährte"
sein sollte.
Arthur Schopenhauer
Donnerstag, 17. Januar 2013
Dienstag, 15. Januar 2013
Giacomo Leopardi - Unfähigkeit zu allen Dingen
Lang andauerndes Unglück wie auch ein zur Gewohnheit
gewordener Zustand, in welchem dem Menschen Freuden und Anreize für
seine Eigenliebe versagt sind, lassen auch in der edelsten Seele schließlich
jede Phantasie, alles starke Gefühl, Leben, Tatkraft und Stärke
und nahezu jede Seelengabe erlöschen. Denn eine derartige Seele fasst
sich nach der ersten nutzlosen Verzweiflung und dem wilden und schmerzreichen
Zusammenstoß mit der Notwendigkeit schließlich in einem Zustand
der Stille und kennt keinen Ausweg im Leben mehr, wie auch Natur und Zeit
ihr nichts anderes gebieten, denn die Eigenliebe dauernd zurückzudrängen
und zu unterdrücken, damit sie das Unglück weniger hart treffe,
dieses besser zu ertragen und mit der Ruhe eher vereinbar sei. Daraus entsteht
dann eine übermäßige Gleichgültigkeit und Härte
gegen sich selbst, ein vollkommenes Absterben geistigen Lebens und menschlicher
Gaben. Der Mensch nimmt an sich selbst keinen Anteil mehr und widmet sich
auch keiner Sache, denn im Grunde nimmt er an Dingen nur Anteil, wenn sie
eine mehr oder weniger enge und offenbare, aber doch irgendwie geartete
Beziehung zu ihm selbst haben, weder die Schönheiten der Natur, Musik,
Dichtung, erfreuliche oder traurige Weltereignisse, noch Glück und
Unglück anderer Menschen, gehören sie selbst zu seinen allernächsten,
erzeugen in ihm einen lebhaften Eindruck, wecken oder erwärmen ihn
innerlich oder sprechen seine Phantasie und sein Gefühl an oder fordern
seine Anteilnahme und bereiten ihm weder Freude noch Schmerz, obwohl sie
ihn noch vor wenigen Jahren mit Begeisterung erfüllt und zu tausenderlei
Schöpfungen angeregt hatten. Er ist über seine eigene Unfruchtbarkeit,
Unrührbarkeit und Kälte selbst hilflos erstaunt und sieht sich,
nachdem er einstmals die größten Fähigkeiten besessen hatte,
nun völlig unfähig zu allem und jedem und sich selbst wie den
anderen unnütz. Das Leben erstirbt, wenn die Eigenliebe ihren Wirkungsbereich
eingebüßt hat. Jede Seelenkraft erlischt mit der Hoffnung. Ich
meine damit nur den Zustand beruhigter Verzweiflung; denn die wilde ist
voller Hoffnungen oder wenigstens Wünsche und giert noch im selben
Augenblick nach Glück, in dem sie Stahl oder Gift gegen sich selbst
richtet.
Völlig erloschen sind die Wünsche in einer Seele, die sich damit abgefunden hat, sie stets unerfüllt zu sehen, und die aufgrund vernünftiger Überlegung oder gar beider dazu herabsank, sie selbst einzuschläfern oder gar zu unterdrücken. Der Mensch, welcher sich selbst nichts mehr wünscht und sich selbst nicht mehr liebt, taugt auch für andere nichts. Alle Freuden, Leiden, Regungen und Taten, welche ihm die oben erwähnten Dinge, d.h. die Natur und alle übrigen Erscheinungen eingaben, bezogen sich in der ein oder anderen Weise auf ihn selbst, und ihr Lebenselement bestand in einer Rückkehr zu sich selbst. Jene einst so starke Seele büßte nun alles Wilde, jeden Menschenhass, Groll und Unwillen, ja jede Eigenliebe ein und hat kein Gefühl mehr für Tränen, dem Mitleid ist sie völlig verschlossen. Sie läßt sich noch dazu bewegen, Hilfe zu leihen, aber nicht mehr mit zu leiden. Sie wird noch Gutes tun und Beistand leisten, aber nur aus einer kalten Idee der Pflicht oder eher noch aus Gewohnheit, ohne das ein Gefühl sie dazu anspornte oder ihr daraus eine Freude entstünde. Die wahre und völlig befriedete Gleichgültigkeit gegenüber sich selbst bedeutet auch eine solche gegenüber allem anderen und damit eine Unfähigkeit zu allen Dingen, eine Vernichtung auch der von Natur größten und fruchtbarsten Seele.
aus dem Buch Die Untröstlichen
Völlig erloschen sind die Wünsche in einer Seele, die sich damit abgefunden hat, sie stets unerfüllt zu sehen, und die aufgrund vernünftiger Überlegung oder gar beider dazu herabsank, sie selbst einzuschläfern oder gar zu unterdrücken. Der Mensch, welcher sich selbst nichts mehr wünscht und sich selbst nicht mehr liebt, taugt auch für andere nichts. Alle Freuden, Leiden, Regungen und Taten, welche ihm die oben erwähnten Dinge, d.h. die Natur und alle übrigen Erscheinungen eingaben, bezogen sich in der ein oder anderen Weise auf ihn selbst, und ihr Lebenselement bestand in einer Rückkehr zu sich selbst. Jene einst so starke Seele büßte nun alles Wilde, jeden Menschenhass, Groll und Unwillen, ja jede Eigenliebe ein und hat kein Gefühl mehr für Tränen, dem Mitleid ist sie völlig verschlossen. Sie läßt sich noch dazu bewegen, Hilfe zu leihen, aber nicht mehr mit zu leiden. Sie wird noch Gutes tun und Beistand leisten, aber nur aus einer kalten Idee der Pflicht oder eher noch aus Gewohnheit, ohne das ein Gefühl sie dazu anspornte oder ihr daraus eine Freude entstünde. Die wahre und völlig befriedete Gleichgültigkeit gegenüber sich selbst bedeutet auch eine solche gegenüber allem anderen und damit eine Unfähigkeit zu allen Dingen, eine Vernichtung auch der von Natur größten und fruchtbarsten Seele.
aus dem Buch Die Untröstlichen
E.M. Cioran - Bildnis des Zivilisationsmenschen
(...) Niemand könnte leugnen, daß auch die
Natur verdorben ist, aber diese Verderbnis hat kein Datum, sie ist ein
unvordenkliches und unvermeidbares Übel, dem wir uns notgedrungen
anzupassen haben. Das Übel der Zivilisation jedoch ist aus unseren
Taten und Launen hervorgegangen und wirkt um so niederdrückender,
je zufälliger es uns erscheint, es trägt den Stempel einer Entscheidung
oder einer Willkür, eines vorbedachten, freiwilligen Verhängnisses,
zu Recht oder Unrecht glauben wir, es hätte garnicht eintreten müssen,
es habe nur an uns gelegen, es überhaupt nicht aufkommen zu lassen.
Dies läßt es uns vollends noch hassenswerter erscheinen, als
es ohnehin schon ist. Wir sind untröstlich darüber, derart subtile
Miseren aushalten zu müssen, wo doch die gröberen, aber im ganzen
erträglicheren, mit denen die Natur uns so verschwenderisch ausgestattet
hat, uns eigentlich genügen könnten.
Wären wir in der Lage, von unseren Wünschen loszukommen, so würden wir zugleich auch vom Schicksal loskommen; wir wären dann den Wesen, den Dingen und uns selbst überlegen. Nicht gewillt, uns weiter mit der Welt zu amalgamieren, würden wir durch das Opfer unserer Identität zur Freiheit gelangen, denn die ist untrennbar von einem Training in der Namenlosigkeit und in der Entsagung. "Ich bin niemand, ich habe meinen Namen besiegt!" So spricht einer, der sich nicht dazu erniedrigen will, Spuren zu hinterlassen (...).
Das Christentum hat uns zu wahnwitzigen Eiferern gemacht und uns damit unabsichtlich in die Lage versetzt, eine Zivilisation hervorzubringen, deren Opfer es jetzt geworden ist. Hat es nicht allzu viele Bedürfnisse, allzu viele Ansprüche in uns erschaffen? Anfangs waren diese Ansprüche, diese Bedürfnisse innerlicher Art, bald aber sanken sie ab und wandten sich nach außen. Die Inbrunst, der so viele nun plötzlich zum Schweigen gebrachte Gebete entströmt waren, konnte nicht einfach verschwinden und ohne Anwendung bleiben, sie mußte sich in den Dienst von Ersatzgöttern stellen, für deren Nichtigkeit sie sich Symbole zimmerte. Wir sehen uns Nachbildern des Unendlichen ausgeliefert, einem Absoluten ohne metaphysische Dimension preisgegeben, in die Geschwindigkeit statt in die Ekstase gestürzt. Das keuchende Eisenzeug, Echo unserer Emsigkeit, die Gespenster, die es handhaben. Aufmarsch von Automaten, Prozession von Halluzinierten! Wohin gehen sie? Was suchen sie? Welcher Wahnsinnswind reißt sie mit sich fort? Jedesmal wenn ich eine Neigung in mir verspüre, ihnen Nachsicht entgegenzubringen, wenn ich Zweifel bekomme an der Berechtigung des Widerwillens oder des Schreckens, den sie mir einjagen, brauche ich nur an die Landstraßen, wie sie am Sonntag aussehen, zu denken, und das Bild dieses motorisierten Ungeziefers bestärkt mich in meinem Ekel und in meinem Abscheu. (...)
In diesem Stadium müsste die Zivilisation wie ein Pakt mit dem Teufel erscheinen, wenn der Mensch noch eine Seele zu verkaufen hätte. Wurden diese Maschinen denn wirklich erfunden, um Zeit zu gewinnen? Hilfloser und enterbter als der Höhlenbewohner hat der Zivilisationsmensch nicht einen Augenblick mehr für sich alleine; sogar noch seine Mußestunden sind fieberhaft und bedrückend: Urlaub eines Sträflings, preisgegeben der Verdrossenheit des farniente und dem Alptraum der Badestrände. (...)
Da er trotz seiner Tollheit berechnend ist, bildet er sich ein, seine Sorgen und Kümmernisse wären geringer, wenn es ihm gelänge sie in der Form von "Entwicklungsprogrammen" den sogenannten "unterentwickelten" Völkern aufzuzwingen, denen er vorwirft, nicht "auf der Höhe" zu sein, das heißt nicht in besinnungslosem Wirbel. Um sie leichter zu Fall zu bringen, propft er ihnen das Gift der Angst auf und läßt sie nicht eher los, als bis er bei ihnen die gleichen Symptome von Tatenlust beobachtet hat. Um seinen Traum von einer atemlosen, hirnverbrannten und zeitversklavten Menschheit zu verwirklichen, durcheilt er die Kontinente, immer auf der Suche nach neuen Opfern, auf die er die Überflüsse seiner fiebernden Finsternis ergießen kann. Wenn man ihn anschaut, erkennt man die eigentliche Natur der Hölle: ist sie nicht der Ort, wo man für alle Ewigkeit zur Zeit verurteilt ist?
aus dem Buch Der Absturz in die Zeit
Wären wir in der Lage, von unseren Wünschen loszukommen, so würden wir zugleich auch vom Schicksal loskommen; wir wären dann den Wesen, den Dingen und uns selbst überlegen. Nicht gewillt, uns weiter mit der Welt zu amalgamieren, würden wir durch das Opfer unserer Identität zur Freiheit gelangen, denn die ist untrennbar von einem Training in der Namenlosigkeit und in der Entsagung. "Ich bin niemand, ich habe meinen Namen besiegt!" So spricht einer, der sich nicht dazu erniedrigen will, Spuren zu hinterlassen (...).
Das Christentum hat uns zu wahnwitzigen Eiferern gemacht und uns damit unabsichtlich in die Lage versetzt, eine Zivilisation hervorzubringen, deren Opfer es jetzt geworden ist. Hat es nicht allzu viele Bedürfnisse, allzu viele Ansprüche in uns erschaffen? Anfangs waren diese Ansprüche, diese Bedürfnisse innerlicher Art, bald aber sanken sie ab und wandten sich nach außen. Die Inbrunst, der so viele nun plötzlich zum Schweigen gebrachte Gebete entströmt waren, konnte nicht einfach verschwinden und ohne Anwendung bleiben, sie mußte sich in den Dienst von Ersatzgöttern stellen, für deren Nichtigkeit sie sich Symbole zimmerte. Wir sehen uns Nachbildern des Unendlichen ausgeliefert, einem Absoluten ohne metaphysische Dimension preisgegeben, in die Geschwindigkeit statt in die Ekstase gestürzt. Das keuchende Eisenzeug, Echo unserer Emsigkeit, die Gespenster, die es handhaben. Aufmarsch von Automaten, Prozession von Halluzinierten! Wohin gehen sie? Was suchen sie? Welcher Wahnsinnswind reißt sie mit sich fort? Jedesmal wenn ich eine Neigung in mir verspüre, ihnen Nachsicht entgegenzubringen, wenn ich Zweifel bekomme an der Berechtigung des Widerwillens oder des Schreckens, den sie mir einjagen, brauche ich nur an die Landstraßen, wie sie am Sonntag aussehen, zu denken, und das Bild dieses motorisierten Ungeziefers bestärkt mich in meinem Ekel und in meinem Abscheu. (...)
In diesem Stadium müsste die Zivilisation wie ein Pakt mit dem Teufel erscheinen, wenn der Mensch noch eine Seele zu verkaufen hätte. Wurden diese Maschinen denn wirklich erfunden, um Zeit zu gewinnen? Hilfloser und enterbter als der Höhlenbewohner hat der Zivilisationsmensch nicht einen Augenblick mehr für sich alleine; sogar noch seine Mußestunden sind fieberhaft und bedrückend: Urlaub eines Sträflings, preisgegeben der Verdrossenheit des farniente und dem Alptraum der Badestrände. (...)
Da er trotz seiner Tollheit berechnend ist, bildet er sich ein, seine Sorgen und Kümmernisse wären geringer, wenn es ihm gelänge sie in der Form von "Entwicklungsprogrammen" den sogenannten "unterentwickelten" Völkern aufzuzwingen, denen er vorwirft, nicht "auf der Höhe" zu sein, das heißt nicht in besinnungslosem Wirbel. Um sie leichter zu Fall zu bringen, propft er ihnen das Gift der Angst auf und läßt sie nicht eher los, als bis er bei ihnen die gleichen Symptome von Tatenlust beobachtet hat. Um seinen Traum von einer atemlosen, hirnverbrannten und zeitversklavten Menschheit zu verwirklichen, durcheilt er die Kontinente, immer auf der Suche nach neuen Opfern, auf die er die Überflüsse seiner fiebernden Finsternis ergießen kann. Wenn man ihn anschaut, erkennt man die eigentliche Natur der Hölle: ist sie nicht der Ort, wo man für alle Ewigkeit zur Zeit verurteilt ist?
aus dem Buch Der Absturz in die Zeit
Samstag, 12. Januar 2013
Radiosendung über E.M. Cioran
Hier gibt es eine interessante Radiosendung über E.M. Cioran, in der auch der Philosoph selbst in deutscher Sprache zu hören ist.
Der Schriftsteller und Philosoph E. M. Cioran
Der Schriftsteller und Philosoph E. M. Cioran
Sendung vom Freitag, 27.1.2006 | 8.30 Uhr | SWR2
Aus der Reihe: Schauplatz
Von Jürgen von Esenwein
Gerade 22 Jahre alt, wird E. M. Cioran in seinem 1934 erschienenen Erstlingswerk "Auf den Gipfeln der Verzweiflung" bekennen: "Die Tatsache, dass ich lebe, beweist, dass die Welt keinen Sinn hat. Denn wie könnte ich in der Ruhelosigkeit eines übermäßig erregten und unglücklichen Menschen, für den sich alles letztlich auf das Nichts beschränkt und über dem das Leiden als Weltgesetz waltet, einen Sinn aufspüren. ... Mir ist seltsam zumute, wenn ich bedenke, dass ich bereits zu einem Spezialisten des Todes geworden bin."
Seit Erscheinen dieses Buches hat Cioran seinen Weg als einer der größten Skeptiker des 20. Jahrhunderts konsequent fortgesetzt. Wohl deshalb hat er keine philosophische Theorie geschaffen, sondern in brillant geschliffener Sprache allgemein anerkannte Denkvorstellungen radikal in Zweifel gezogen und so Wege zu überraschenden neuen Einsichten gewiesen. Seine Antwort auf die ihm immer wieder gestellte Frage, was im Leben der Menschen wirklich zähle, lautet ebenso lapidar wie bitter. "Nichts zählt".
Von Jürgen von Esenwein
Gerade 22 Jahre alt, wird E. M. Cioran in seinem 1934 erschienenen Erstlingswerk "Auf den Gipfeln der Verzweiflung" bekennen: "Die Tatsache, dass ich lebe, beweist, dass die Welt keinen Sinn hat. Denn wie könnte ich in der Ruhelosigkeit eines übermäßig erregten und unglücklichen Menschen, für den sich alles letztlich auf das Nichts beschränkt und über dem das Leiden als Weltgesetz waltet, einen Sinn aufspüren. ... Mir ist seltsam zumute, wenn ich bedenke, dass ich bereits zu einem Spezialisten des Todes geworden bin."
Seit Erscheinen dieses Buches hat Cioran seinen Weg als einer der größten Skeptiker des 20. Jahrhunderts konsequent fortgesetzt. Wohl deshalb hat er keine philosophische Theorie geschaffen, sondern in brillant geschliffener Sprache allgemein anerkannte Denkvorstellungen radikal in Zweifel gezogen und so Wege zu überraschenden neuen Einsichten gewiesen. Seine Antwort auf die ihm immer wieder gestellte Frage, was im Leben der Menschen wirklich zähle, lautet ebenso lapidar wie bitter. "Nichts zählt".
VHEMT - The Voluntary Human Extinction Movement
"Das langsame Aussterben der menschlichen Rasse durch freiwilliges Aufgeben
der Fortpflanzung wird es dem Leben auf der Erde ermöglichen, wieder
einen gesunden Zustand zu erreichen. Die Enge und die Rohstoffknappheit
werden nachlassen, wenn die Bevölkerung zurückgeht."
Zur VHEMT-Website
Zur VHEMT-Website
Eels - In the yard, behind the church
Album: Blinking Lights and other Revelations
Genre: Indie Rock
Filmempfehlung: Das große Fressen
"Vier nicht mehr ganz junge, wohlhabende Freunde treffen sich am
Wochenende in einer Villa, um sich dort genussvoll zu Tode zu essen.
Während Koch Ugo die raffiniertesten Speisen kreiert, gelüstet es
Marcello auch nach weiblicher Gesellschaft und er ruft drei
Prostituierte hinzu. Vervollständigt wird die Gruppe durch die üppige
Lehrerin Andrea, an der besonders der Richter Philippe Geschmack findet.
Allerdings können die Frauen die Männer nicht lange von ihrem
eigentlichen Ziel abhalten..."
Das große Fressen
Das große Fressen
Donnerstag, 10. Januar 2013
Schwarz auf Weiß
Da ich von einigen Lesern den Hinweis bekam, dass man von weißer Schrift auf schwarzem Grund bei längerem Lesen Augenkrebs bekommt, hab ich mal das Licht eingeschaltet.
Zitatensammlung IV
Dieser Welt, diesem Tummelplatz gequälter und geängstigter
Wesen, welche nur dadurch bestehen, daß eines das andere verzehrt,
wo daher jedes reißende Tier das lebendige Grab tausend anderer und
seine Selbsterhaltung eine Kette von Martertoden ist, wo sodann mit der Erkenntnis
die Fähigkeit, Schmerz zu empfinden, wächst, welche dadurch im
Menschen ihren höchsten Grad erreicht und einen um so höheren,
je intelligenter er ist - dieser Welt hat man das System des Optimismus anpassen
und sie uns als die beste aller möglichen andemonstrieren wollen.
Die Absurdität ist schreiend - Inzwischen heißt ein Optimist
mich die Augen öffnen und hineinsehen in die Welt, wie sie so schön
sei, im Sonnenschein mit ihren Bergen, Tälern, Strömen, Pflanzen,
Tieren usw. - Aber ist denn die Welt ein Guckkasten? Zu sehen sind diese
Dinge freilich schön, aber sie zu sein ist etwas ganz anderes.
Meißtens verschließen wir uns der, einer bitteren Arznei zu vergleichenden Erkenntniß, daß das Leiden dem Leben wesentlich ist und daher nicht von außen auf uns einströmt, sondern jeder die unversiegbare Quelle desselben in seinem eigenen Innern herumträgt. Wir suchen vielmehr zu dem nie von uns weichenden Schmerz stets eine äußere einzelne Ursache, gleichsam einen Vorwand; wie der Freie sich einen Götzen bildet, um einen Herrn zu haben. Denn unermüdlich streben wir von Wunsch zu Wunsch, und wenn gleich jede erlangte Befriedigung, soviel sie auch verhieß, uns doch nicht befriedigt, sondern meistens bald als beschämender Irrtum dasteht, sehen wir doch nicht ein, daß wir mit dem Faß der Danaiden schöpfen; sondern eilen zu immer neuen Wünschen. So geht es denn entweder ins Unendliche, oder, was seltener ist und schon eine gewisse Kraft des Charakters voraussetzt, bis wir auf einen Wunsch treffen, der nicht erfüllt und doch nicht aufgegeben werden kann: dann haben wir gleichsam, was wir suchten, nämlich etwas, das wir jeden Augenblick, statt unseres eigenen Wesens, als die Quelle unserer Leiden anklagen können, und wodurch wir nun mit unserem Schicksal entzweit, dafür aber mit unserer Existenz versöhnt werden, indem die Erkenntnis sich wieder entfernt, daß dieser Existenz selbst das Leiden wesentlich und wahre Befriedigung unmöglich sei. Die Folge dieser letzten Entwicklungsart ist eine etwas melancholische Stimmung, das beständige Tragen eines einzigen, großen Schmerzes und daraus entstehende Geringschätzung aller kleineren Leiden oder Freuden; folglich eine schon würdigere Erscheinung, als das stete Haschen nach immer anderen Trugbildern, welches viel gewöhnlicher ist.
Arthur Schopenhauer
Was ist nun die im Kern unseres Innern sich entschleiernde Kraft? Es ist der Wille zum Leben. Wann immer wir auch den Weg nach innen betreten - mögen wir uns in scheinbarer Ruhe und Gleichgültigkeit antreffen, mögen wir selig erbeben unter dem Kusse des Schönen, mögen wir rasen und toben in wildester Leidenschaft oder zerfließen in Mitleid, mögen wir "himmelhoch jauchzen" oder "zum Tode betrübt sein" - immer sind wir Wille zum Leben. Wir wollen da sein, immer da sein; weil wir das Dasein wollen, verbleiben wir im Dasein. Der Wille zum Leben ist der innerste Kern unseres Wesens; er ist immer tätig, wenn auch oft nicht an der Oberfläche. Um sich hiervon zu übrzeugen, bringe man das ermattetste Individuum in wirkliche Todesgefahr und der Wille zum Leben wird sich enthüllen, in allen Zügen mit entsetzlicher Deutlichkeit die Begierde nach Dasein tragend: sein Heißhunger nach Leben ist unersättlich.
Wenn aber der Mensch das Leben wirklich nicht mehr will, so vernichtet er sich auch sofort durch die Tat. Die meisten wünschen sich nur den Tod, sie wollen ihn nicht.
Der gewöhnliche Mensch geht ganz im Leben auf; er zerbricht sich nicht den Kopf über die Welt, er fragt sich weder: woher komme ich? noch: wohin gehe ich? Seine irdischen Ziele hat er immer fest im Auge. Der Weise, auf der anderen Seite, lebt in einer engen Sphäre, die er selbst um sich gezogen hat, und ist sich - auf welchem Wege ist ganz gleichgültig - klar über sich und die Welt geworden. Jeder von beiden ruht fest auf sich selbst. Nicht so der Humorist. Er hat den Frieden des Weisen gekostet; er hat die Seligkeit des ästhetischen Zustandes empfunden; er ist Gast gewesen an der Tafel der Götter; er hat gelebt in einem Äther von durchsichtiger Klarheit. Und dennoch zieht ihn eine unwiderstehliche Gewalt zurück in den Schlamm der Welt. Er entflieht ihm, weil er nur ein einziges Streben, das Streben nach der Ruhe des Grabes, billigen kann und alles andere als Torheit verwerfen muß; aber immer und immer wieder locken ihn die Sirenen zurück in den Strudel, und er tanzt und hüpft im schwülen Saale, tiefe Sehnsucht nach Ruhe und Frieden im Herzen; denn man kan ihn das Kind eines Engels und eine Tochter der Menschen nennen. Er gehört zwei Welten an, weil ihm die Kraft fehlt, einer von ihnen zu entsagen. Im Festsaale der Götter stört seine reine Freude ein Ruf von unten, und wirft er sich unten der Lust in die Arme, vergällt ihm die Sehnsucht nach oben den reinen Genuß. So wird sein Dämon hin- und hergeworfen und fühlt sich wie zerrissen. Die Grundstimmung des Humoristen ist Unlust.
Philip Mainländer
Meißtens verschließen wir uns der, einer bitteren Arznei zu vergleichenden Erkenntniß, daß das Leiden dem Leben wesentlich ist und daher nicht von außen auf uns einströmt, sondern jeder die unversiegbare Quelle desselben in seinem eigenen Innern herumträgt. Wir suchen vielmehr zu dem nie von uns weichenden Schmerz stets eine äußere einzelne Ursache, gleichsam einen Vorwand; wie der Freie sich einen Götzen bildet, um einen Herrn zu haben. Denn unermüdlich streben wir von Wunsch zu Wunsch, und wenn gleich jede erlangte Befriedigung, soviel sie auch verhieß, uns doch nicht befriedigt, sondern meistens bald als beschämender Irrtum dasteht, sehen wir doch nicht ein, daß wir mit dem Faß der Danaiden schöpfen; sondern eilen zu immer neuen Wünschen. So geht es denn entweder ins Unendliche, oder, was seltener ist und schon eine gewisse Kraft des Charakters voraussetzt, bis wir auf einen Wunsch treffen, der nicht erfüllt und doch nicht aufgegeben werden kann: dann haben wir gleichsam, was wir suchten, nämlich etwas, das wir jeden Augenblick, statt unseres eigenen Wesens, als die Quelle unserer Leiden anklagen können, und wodurch wir nun mit unserem Schicksal entzweit, dafür aber mit unserer Existenz versöhnt werden, indem die Erkenntnis sich wieder entfernt, daß dieser Existenz selbst das Leiden wesentlich und wahre Befriedigung unmöglich sei. Die Folge dieser letzten Entwicklungsart ist eine etwas melancholische Stimmung, das beständige Tragen eines einzigen, großen Schmerzes und daraus entstehende Geringschätzung aller kleineren Leiden oder Freuden; folglich eine schon würdigere Erscheinung, als das stete Haschen nach immer anderen Trugbildern, welches viel gewöhnlicher ist.
Arthur Schopenhauer
Was ist nun die im Kern unseres Innern sich entschleiernde Kraft? Es ist der Wille zum Leben. Wann immer wir auch den Weg nach innen betreten - mögen wir uns in scheinbarer Ruhe und Gleichgültigkeit antreffen, mögen wir selig erbeben unter dem Kusse des Schönen, mögen wir rasen und toben in wildester Leidenschaft oder zerfließen in Mitleid, mögen wir "himmelhoch jauchzen" oder "zum Tode betrübt sein" - immer sind wir Wille zum Leben. Wir wollen da sein, immer da sein; weil wir das Dasein wollen, verbleiben wir im Dasein. Der Wille zum Leben ist der innerste Kern unseres Wesens; er ist immer tätig, wenn auch oft nicht an der Oberfläche. Um sich hiervon zu übrzeugen, bringe man das ermattetste Individuum in wirkliche Todesgefahr und der Wille zum Leben wird sich enthüllen, in allen Zügen mit entsetzlicher Deutlichkeit die Begierde nach Dasein tragend: sein Heißhunger nach Leben ist unersättlich.
Wenn aber der Mensch das Leben wirklich nicht mehr will, so vernichtet er sich auch sofort durch die Tat. Die meisten wünschen sich nur den Tod, sie wollen ihn nicht.
Der gewöhnliche Mensch geht ganz im Leben auf; er zerbricht sich nicht den Kopf über die Welt, er fragt sich weder: woher komme ich? noch: wohin gehe ich? Seine irdischen Ziele hat er immer fest im Auge. Der Weise, auf der anderen Seite, lebt in einer engen Sphäre, die er selbst um sich gezogen hat, und ist sich - auf welchem Wege ist ganz gleichgültig - klar über sich und die Welt geworden. Jeder von beiden ruht fest auf sich selbst. Nicht so der Humorist. Er hat den Frieden des Weisen gekostet; er hat die Seligkeit des ästhetischen Zustandes empfunden; er ist Gast gewesen an der Tafel der Götter; er hat gelebt in einem Äther von durchsichtiger Klarheit. Und dennoch zieht ihn eine unwiderstehliche Gewalt zurück in den Schlamm der Welt. Er entflieht ihm, weil er nur ein einziges Streben, das Streben nach der Ruhe des Grabes, billigen kann und alles andere als Torheit verwerfen muß; aber immer und immer wieder locken ihn die Sirenen zurück in den Strudel, und er tanzt und hüpft im schwülen Saale, tiefe Sehnsucht nach Ruhe und Frieden im Herzen; denn man kan ihn das Kind eines Engels und eine Tochter der Menschen nennen. Er gehört zwei Welten an, weil ihm die Kraft fehlt, einer von ihnen zu entsagen. Im Festsaale der Götter stört seine reine Freude ein Ruf von unten, und wirft er sich unten der Lust in die Arme, vergällt ihm die Sehnsucht nach oben den reinen Genuß. So wird sein Dämon hin- und hergeworfen und fühlt sich wie zerrissen. Die Grundstimmung des Humoristen ist Unlust.
Philip Mainländer
Montag, 7. Januar 2013
Buchempfehlung: E.M. Cioran - Der zersplitterte Fluch
Eine kleine Auswahl an Aphorismen:
Ich war weit gegangen, um die Sonne zu suchen, und als ich sie endlich fand, war sie mir feindlich gesinnt. Sollte ich mich von der Höhe der Klippen stürzen? Während ich eher düstere Betrachtungen anstellte und dabei die Kiefern, die Felsen, die Wellen anschaute, fühlte ich plötzlich wie sehr ich an diesem schönen, verwünschten Universum haftete.
Folgte ich meiner ersten Regung, so würde ich die Tage damit verbringen, Schimpf- und Abschiedsbriefe zu schreiben.
Wenn eine Regierung mitten im Sommer verordnen würde, daß die Ferien unbegrenzt verlängert werden und daß unter Todesstrafe niemand das Paradies verlassen darf, in dem er sich gerade aufhält, hätte dies massenhafte Selbstmorde und beispiellose Blutbäder zur Folge.
Ich bildete mir ein, zu meinen Lebzeiten dem Verschwinden unserer Gattung beizuwohnen. Aber die Götter waren gegen mich.
Der Mensch ist nicht damit einverstanden, Mensch zu sein. Aber er weiß nicht, wohin er zurückkehren noch wie er den Zustand wiedererlangen soll, an den er sich nicht mehr erinnern kann. Das Heimweh danach bildet den Grundton seines Wesens, dank dieser Trauer kommuniziert er mit dem, was in ihm am ursprünglichsten ist.
Hätte ich auf meine Impulse gehört, so wäre ich heute irre oder längst gehängt.
Nicht durch Genialität, durch Leiden und allein dadurch hört man auf, eine Marionette zu sein.
Ich war weit gegangen, um die Sonne zu suchen, und als ich sie endlich fand, war sie mir feindlich gesinnt. Sollte ich mich von der Höhe der Klippen stürzen? Während ich eher düstere Betrachtungen anstellte und dabei die Kiefern, die Felsen, die Wellen anschaute, fühlte ich plötzlich wie sehr ich an diesem schönen, verwünschten Universum haftete.
Folgte ich meiner ersten Regung, so würde ich die Tage damit verbringen, Schimpf- und Abschiedsbriefe zu schreiben.
Wenn eine Regierung mitten im Sommer verordnen würde, daß die Ferien unbegrenzt verlängert werden und daß unter Todesstrafe niemand das Paradies verlassen darf, in dem er sich gerade aufhält, hätte dies massenhafte Selbstmorde und beispiellose Blutbäder zur Folge.
Ich bildete mir ein, zu meinen Lebzeiten dem Verschwinden unserer Gattung beizuwohnen. Aber die Götter waren gegen mich.
Der Mensch ist nicht damit einverstanden, Mensch zu sein. Aber er weiß nicht, wohin er zurückkehren noch wie er den Zustand wiedererlangen soll, an den er sich nicht mehr erinnern kann. Das Heimweh danach bildet den Grundton seines Wesens, dank dieser Trauer kommuniziert er mit dem, was in ihm am ursprünglichsten ist.
Hätte ich auf meine Impulse gehört, so wäre ich heute irre oder längst gehängt.
Nicht durch Genialität, durch Leiden und allein dadurch hört man auf, eine Marionette zu sein.
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Auszug:
"Wie Schwermut in der Medizin als das Ungesunde, in der Theologie als das Heillose an sich in den Blick rückt, so entsteht auch im Kontext der Aufklärung diese fundamentale Gegenbildlichkeit, die die Vehemenz der Abstoßungsreaktion nicht zuletzt als ein Nichtwahrhabenwollen der Komplementärfarben des eigenen rosaroten Weltbildes erscheinen läßt. Die Aufklärung bekämpft mit der Melancholie die verbotene Wahrheit über sich selbst, die Einsicht in die Nachtseite jener lichten und optimistischen Vernunft, "die ihre ideale Selbstdarstellung in Begriffen wie Geselligkeit, Menschenliebe, Zärtlichkeit, Freundschaft, Mitleid, Liebe, Gehorsam, Sparsamkeit zu finden glaubt" und die das Insistieren auf dem, was ganz anders, dafür aber der Fall ist, als rückschrittliche Wirklichkeitsblindheit und Misanthropie an ihren utopischen Pranger stellt.
Das neuzeitliche Projekt der kalkulierten Melioration und immanenten Reparadiesierung menschlicher Existenz ist nicht minder totalitär als das christliche der Weltüberwindung oder das medizinische der Erhaltung quicklebendiger Jugendfrische möglichst bis zur letzten Agonie. Und entsprechend bildet sich auch hier die Strategie der Vertilgung alles Widerborstigen und Unbelehrbaren heraus, die jetzt der Weltverachtung und Jammertalserfahrung der Religion ebenso gilt wie dem bodenlosen Schwindel und Sinnzerfall eines schwarzgalligen Skeptizismus."
"Wie Schwermut in der Medizin als das Ungesunde, in der Theologie als das Heillose an sich in den Blick rückt, so entsteht auch im Kontext der Aufklärung diese fundamentale Gegenbildlichkeit, die die Vehemenz der Abstoßungsreaktion nicht zuletzt als ein Nichtwahrhabenwollen der Komplementärfarben des eigenen rosaroten Weltbildes erscheinen läßt. Die Aufklärung bekämpft mit der Melancholie die verbotene Wahrheit über sich selbst, die Einsicht in die Nachtseite jener lichten und optimistischen Vernunft, "die ihre ideale Selbstdarstellung in Begriffen wie Geselligkeit, Menschenliebe, Zärtlichkeit, Freundschaft, Mitleid, Liebe, Gehorsam, Sparsamkeit zu finden glaubt" und die das Insistieren auf dem, was ganz anders, dafür aber der Fall ist, als rückschrittliche Wirklichkeitsblindheit und Misanthropie an ihren utopischen Pranger stellt.
Das neuzeitliche Projekt der kalkulierten Melioration und immanenten Reparadiesierung menschlicher Existenz ist nicht minder totalitär als das christliche der Weltüberwindung oder das medizinische der Erhaltung quicklebendiger Jugendfrische möglichst bis zur letzten Agonie. Und entsprechend bildet sich auch hier die Strategie der Vertilgung alles Widerborstigen und Unbelehrbaren heraus, die jetzt der Weltverachtung und Jammertalserfahrung der Religion ebenso gilt wie dem bodenlosen Schwindel und Sinnzerfall eines schwarzgalligen Skeptizismus."
Donnerstag, 3. Januar 2013
100 Tage Endzeit oder Die Revolution aus Nichts
Die Natur ist, objektiv betrachtet, grausam und gegen sich selbst gerichtet. Sie ist ein Reich des gegenseitigen
Verschlingens und Auslöschens, des Tötens um zu Überleben,
des ewigen Kampfes. Daran ändert die äußerliche Schönheit
und die scheinbare Harmonie der Dinge nichts, denn sobald man vom schönen
Schein absieht, erkennt man den blinden und letztlich sinnlosen Lebenswillen,
der all dies antreibt und die Zahnräder der Vernichtungs-und-Entstehungsmaschine
weiterlaufen läßt. Aus dieser natürlichen Hölle ist
der Mensch aufgestiegen, hat sich abgekapselt aus dem System des allgegenwärtigen
Überlebenskampfes und macht nun "sein eigenes Ding" mit eigenen Gesetzen.
Wen kann es allerdings bei dieser Herkunft aus dem intergalaktischen Schlachthof
noch überraschen, dass auch seine Gesetze ihm kein Glück
und keinen Frieden gebracht haben. Vielmehr haben sie ihm das Dasein noch
erschwert, denn anstatt ihm das Paradies auf Erden zu schenken, haben sie
ihn isoliert vom natürlichen Lauf der Dinge, wodurch ihm etwas in
Scherben gegangen ist, etwas nicht Greifbares, was dennoch immer, in jedem
Augenblick, fehlt. Der Mensch lebt daher in einer doppelten Hölle,
in der natürlichen und der eigenen. Aus der verloren gegangenen
Zugehörigkeit zur Natur entspringt unser ewiges Streben nach Glück,
Frieden und Harmonie, welches niemals erfüllt wird - und selbst wenn
es erfüllt würde, was könnten wir anderes finden als eine
dritte Hölle (etwa Mainländers "idealen Staat", in dem die Menschen
tatsächlich, nicht metaphorisch, vor Langeweile sterben) oder
eben wieder die erste, aus der wir einst aufgestiegen sind?
Ein Vorschlag zur Güte: Lasst uns E.M. Ciorans Vision folgen und "die gesamte Schöpfung für einen Augenblick in absolute Agonie versetzen" um sie dann wieder daraus zu erlösen und neu auferstehen zu lassen. Realistisch betrachtet haben wir keinen Einfluss auf die gesamte Schöpfung und nicht einmal auf die gesamte Menschheit und man muß die "Agonie" vielleicht nicht einmal wörtlich nehmen. Nach all den Jahrtausenden an Heilsrezepten zur ewigen "Verbesserung", immer in der festen Überzeugung, der neue Garten Eden befände sich schon hinter der nächsten Steilwand, so dass sich die Mühe lohnt, auch wenn die Hälfte der Artgenossen auf der Strecke bleibt - was bleibt uns da noch anderes übrig, als das Eingeständnis, versagt zu haben, ein allgemeines Hände-in-den-Schoß-legen, ein kollektives Aufgeben. Ich nenne dieses Programm 100 Tage Endzeit oder Die Revolution aus Nichts. 100 Tage lang keine Entscheidungen, keine Beschlüsse, keine Arbeit, keine Kriege, keine Maßnahmen, kein Handel, keine Börsencrashs, keine Debatten, keine Besserwissereien, keine Konfliktlösungsvorschläge, kein industrialisierter Tier-Massenmord, keine Militärparaden, keine Cocktailparties, keine Staatsempfänge, keine Sonderangebote, keine 1.425 Fernsehsender, kein Internet, kein Handynetz, keine Ablenkung von unseren kleinen, unbedeutenden, nichtigen Existenzen, von denen trotzdem jede eine eigene Welt für sich ist.
Wer weiß, wozu das führt?
Ein Vorschlag zur Güte: Lasst uns E.M. Ciorans Vision folgen und "die gesamte Schöpfung für einen Augenblick in absolute Agonie versetzen" um sie dann wieder daraus zu erlösen und neu auferstehen zu lassen. Realistisch betrachtet haben wir keinen Einfluss auf die gesamte Schöpfung und nicht einmal auf die gesamte Menschheit und man muß die "Agonie" vielleicht nicht einmal wörtlich nehmen. Nach all den Jahrtausenden an Heilsrezepten zur ewigen "Verbesserung", immer in der festen Überzeugung, der neue Garten Eden befände sich schon hinter der nächsten Steilwand, so dass sich die Mühe lohnt, auch wenn die Hälfte der Artgenossen auf der Strecke bleibt - was bleibt uns da noch anderes übrig, als das Eingeständnis, versagt zu haben, ein allgemeines Hände-in-den-Schoß-legen, ein kollektives Aufgeben. Ich nenne dieses Programm 100 Tage Endzeit oder Die Revolution aus Nichts. 100 Tage lang keine Entscheidungen, keine Beschlüsse, keine Arbeit, keine Kriege, keine Maßnahmen, kein Handel, keine Börsencrashs, keine Debatten, keine Besserwissereien, keine Konfliktlösungsvorschläge, kein industrialisierter Tier-Massenmord, keine Militärparaden, keine Cocktailparties, keine Staatsempfänge, keine Sonderangebote, keine 1.425 Fernsehsender, kein Internet, kein Handynetz, keine Ablenkung von unseren kleinen, unbedeutenden, nichtigen Existenzen, von denen trotzdem jede eine eigene Welt für sich ist.
Wer weiß, wozu das führt?
Mittwoch, 2. Januar 2013
Hashima Island - Impressionen aus der Menschenleere
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