Montag, 7. Januar 2013

Buchempfehlung: Ulrich Horstmann - Der lange Schatten der Melancholie

Auszug:

"Wie Schwermut in der Medizin als das Ungesunde, in der Theologie als das Heillose an sich in den Blick rückt, so entsteht auch im Kontext der Aufklärung diese fundamentale Gegenbildlichkeit, die die Vehemenz der Abstoßungsreaktion nicht zuletzt als ein Nichtwahrhabenwollen der Komplementärfarben des eigenen rosaroten Weltbildes erscheinen läßt. Die Aufklärung bekämpft mit der Melancholie die verbotene Wahrheit über sich selbst, die Einsicht in die Nachtseite jener lichten und optimistischen Vernunft, "die ihre ideale Selbstdarstellung in Begriffen wie Geselligkeit, Menschenliebe, Zärtlichkeit, Freundschaft, Mitleid, Liebe, Gehorsam, Sparsamkeit zu finden glaubt" und die das Insistieren auf dem, was ganz anders, dafür aber der Fall ist, als rückschrittliche Wirklichkeitsblindheit und Misanthropie an ihren utopischen Pranger stellt.
Das neuzeitliche Projekt der kalkulierten Melioration und immanenten Reparadiesierung menschlicher Existenz ist nicht minder totalitär als das christliche der Weltüberwindung oder das medizinische der Erhaltung quicklebendiger Jugendfrische möglichst bis zur letzten Agonie. Und entsprechend bildet sich auch hier die Strategie der Vertilgung alles Widerborstigen und Unbelehrbaren heraus, die jetzt der Weltverachtung und Jammertalserfahrung der Religion ebenso gilt wie dem bodenlosen Schwindel und Sinnzerfall eines schwarzgalligen Skeptizismus."

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