Donnerstag, 3. Januar 2013

100 Tage Endzeit oder Die Revolution aus Nichts

Die Natur ist, objektiv betrachtet, grausam und gegen sich selbst gerichtet. Sie ist ein Reich des gegenseitigen Verschlingens und Auslöschens, des Tötens um zu Überleben, des ewigen Kampfes. Daran ändert die äußerliche Schönheit und die scheinbare Harmonie der Dinge nichts, denn sobald man vom schönen Schein absieht, erkennt man den blinden und letztlich sinnlosen Lebenswillen, der all dies antreibt und die Zahnräder der Vernichtungs-und-Entstehungsmaschine weiterlaufen läßt. Aus dieser natürlichen Hölle ist der Mensch aufgestiegen, hat sich abgekapselt aus dem System des allgegenwärtigen Überlebenskampfes und macht nun "sein eigenes Ding" mit eigenen Gesetzen. Wen kann es allerdings bei dieser Herkunft aus dem intergalaktischen Schlachthof noch überraschen, dass auch seine Gesetze ihm kein Glück und keinen Frieden gebracht haben. Vielmehr haben sie ihm das Dasein noch erschwert, denn anstatt ihm das Paradies auf Erden zu schenken, haben sie ihn isoliert vom natürlichen Lauf der Dinge, wodurch ihm etwas in Scherben gegangen ist, etwas nicht Greifbares, was dennoch immer, in jedem Augenblick, fehlt. Der Mensch lebt daher in einer doppelten Hölle, in der natürlichen und der eigenen. Aus der verloren gegangenen Zugehörigkeit zur Natur entspringt unser ewiges Streben nach Glück, Frieden und Harmonie, welches niemals erfüllt wird - und selbst wenn es erfüllt würde, was könnten wir anderes finden als eine dritte Hölle (etwa Mainländers "idealen Staat", in dem die Menschen tatsächlich, nicht metaphorisch, vor Langeweile sterben) oder eben wieder die erste, aus der wir einst aufgestiegen sind?
 
Ein Vorschlag zur Güte: Lasst uns E.M. Ciorans Vision folgen und "die gesamte Schöpfung für einen Augenblick in absolute Agonie versetzen" um sie dann wieder daraus zu erlösen und neu auferstehen zu lassen. Realistisch betrachtet haben wir keinen Einfluss auf die gesamte Schöpfung und nicht einmal auf die gesamte Menschheit und man muß die "Agonie" vielleicht nicht einmal wörtlich nehmen. Nach all den Jahrtausenden an Heilsrezepten zur ewigen "Verbesserung", immer in der festen Überzeugung, der neue Garten Eden befände sich schon hinter der nächsten Steilwand, so dass sich die Mühe lohnt, auch wenn die Hälfte der Artgenossen auf der Strecke bleibt - was bleibt uns da noch anderes übrig, als das Eingeständnis, versagt zu haben, ein allgemeines Hände-in-den-Schoß-legen, ein kollektives Aufgeben. Ich nenne dieses Programm 100 Tage Endzeit oder Die Revolution aus Nichts. 100 Tage lang keine Entscheidungen, keine Beschlüsse, keine Arbeit, keine Kriege, keine Maßnahmen, kein Handel, keine Börsencrashs, keine Debatten, keine Besserwissereien, keine Konfliktlösungsvorschläge, kein industrialisierter Tier-Massenmord, keine Militärparaden, keine Cocktailparties, keine Staatsempfänge, keine Sonderangebote, keine 1.425 Fernsehsender, kein Internet, kein Handynetz, keine Ablenkung von unseren kleinen, unbedeutenden, nichtigen Existenzen, von denen trotzdem jede eine eigene Welt für sich ist.
Wer weiß, wozu das führt?

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