Als Kafka einem Freund zu
verstehen gibt, er schreibe, weil er andern-
falls wahnsinnig würde, weiß
er, dass Schreiben schon Wahnsinn,
sein Wahnsinn ist, eine Art
Wachen außer Bewußtsein,
Schlaflosigkeit. Wahnsinn
gegen Wahnsinn.
(Blanchot,
Die Schrift des Desasters)
say
anti-anti, anti-anti
say anti-anti, anti-anti
say anti-anti, anti-anti
Bonaparte, Anti-anti
Antinatalität? Was´n das? Eine Entgegnung zum arendtschen Gebürtlichkeits-Konzept? In gewisser Weise mag dies stimmen, ohne dass Cioran je wirklich Kenntnis von Arendt (oder vice versa) genommen hätte. Arendts Ansatz einer durch das menschliche (Immer-wieder) Anfangen-Können bedingten vita activa entgegnet Cioran mit einer vita passiva (die keine vita contemplativa ist); einem von Skepsis befallenen Dasein, das sich in gleichgültiger Larmoyanz (sic!) satiniert: dem cioranschen Zustand des Nicht-Selbstmordes[1].
Die essentiellen Fundamente des (französisierten, späteren) cioranschen
Schreibens: Die – sublimierte – Negation des als kontingent und leidvoll
erlebten Daseins, die radikale Subjektivität basierend auf einer vitalistisch
und durch einen perennierend zweifelnden Geist geschwächt gedachten Existenz,
die (nun) intrasubjektiv lokalisierte Kampfarena (die nicht mehr eine Arena
verschiedener Völker-im-Kampf ist), der konsequenter Nihilismus, eskortiert von
einem „Suizid als Methode“, expliziert in eruptionsartigem Schreiben – so
lautet das Resümee der wichtigsten Inhalte des cioranschen Œuvre.
Auftakt dieser Lehre bildet die Setzung eines ursprünglich rein biologisch-vitalen Daseins. Im instinktiven, sein teleologisches Moment wesenhaft in sich tragenden (Über)Lebenswillen wird ein Faktor des fundamentalen Leids gesehen, dessen immanente Ursache das Leben in der Zeitlichkeit ist. Der Wille ist eine Funktion eines dem Dasein „aufgepfropften“ Geistes. Cioran verflucht (sic!) die Entwicklung des Geistes aus der Materie, in anderen Publikationen die Genese der Materie überhaupt. Dem Vergehen-zum-Tode wird die Glorifizierung des Nu opponiert: Im hypostatisierten Augenblick sieht Cioran die Möglichkeit der Ewigkeit, eines schopenhauerischen nunc stans.
Es gilt nicht das Dasein als Geworfenes gemäß seiner Möglichkeiten zu
realisieren, es bleibt lediglich ein Wüten über die Gewesenheit des
paradiesischen „[...] l´anonymat initial.“[2]
Auf diesen vorgeburtlichen Noch-nicht-Seins-Zustand rekurriert eine
resignativ-religiöse Sinnsuche des sich nach einem verklärten
Pränatalitätsparadies sehnenden Individuums. Das dem Faktum der Geburt adäquat
gesetzte principium individuationis, dessen Folge das Leben innerhalb
der Zeitlichkeit, also ein Dasein-zum-Tode ist, figuriert als intramundän
erfahrbare Kausalität allen Leids: „L´individuation nous révèle la naissance
comme un isolement et la mort comme un retour“.[3]
Diese Rückkehr wird mystisch-verklärt zur Rückkehr in einen Zustand, in dem wir
noch nicht als Singularitäten existierten, aber eine pränatal-harmonische
Totalität gegeben war – ein Mystizismus, der in ähnlicher Lesart bereits vom
mittelalterlichen Eckhart, sowie Mainländer oder auch Weil im 20. Jahrhundert
propagiert wurde. Leben repräsentiert ergo das Paradox einer Gewissheit,
sterben zu müssen, und einer konsequent gelebten Defensivhaltung gegenüber
dieser Gewissheit.
Nichts rechtfertigt die Tatsache dass man lebt; nichts das einzige Pech,
das Licht der Welt zu erblicken.[4]
Es bleibt nur, sich an das Absurde zu halten, was einer Verrücktheit
gleichkommt. Dies lässt Cioran schließen,
dass „[t]oute existence qui ne recèle pas une grande folie reste depourvu de
valeur“.[5] Die Absurdität des originären Prinzips
wird in das Subjekt hinein geholt und dort als Eigenes angenommen und
kultiviert. Nicht die Vernunft, sondern der dem menschlichen Dasein immanente
Wahnsinn wird hier als spezifisch menschliches Charakteristikum gesetzt. Cioran
positioniert „Wahnsinn“ als in Opposition zur Vernunft zu stehend und
infiltriert den Begriff mittels dieser Kontrastierung mit positiver
Konnotation. Er kann, obwohl zahlreiche Versuche davon zeugen, den
Vernunftbegriff nicht absolut negieren, wohl aber dessen Wirkungsbereich als
unzureichend erklären: „Que la folie soit notre seule sagesse“.[6]
Das bedeutet, man muss das Wissen, das man habe, das existenziell-bedrückende
Wissen, sterben zu müssen, transzendieren, und sich der Irrationalität hingeben
– um in dieser zu leben.
Aus der Irrationalität des Daseins, eine aus dem Bereich der Affektionen deduzierte
Erkenntnis, folgt nach Cioran die These, da es
keinen Grund zu leben gibt, es ebenso wenig einen Grund zu sterben geben kann.
Dies wiederum gilt für alle in einem in diesem vereinten und doch
individualisierten Sein-zum-Tode. Dieses Leben jedoch, dem wir anheimfallen,
bedeutet nicht nur essentielles Leid, eine Ideologie, die zuvor schon
Schopenhauer und Mainländer propagierten; bei Cioran entwickelt sich dieses
Leiden zur existentiellen Geißel der Agonie.[7]
Oder auch: Sein ist der Zustand des Nicht-Selbstmordes.[8]
Gleichzeitig oder dennoch erfährt das Leben als einzig unmittelbar
erfahrbare Realität selbst eine Apotheose: Der Rest ist Philosophie,
Christentum oder andere Form des Verfalls.[9]
Es gibt lediglich eine allen Individuen zu Teil werdende Universalität: Die des
Lebens und damit des Todes.[10]
Während die Ideen vom Wesen des Menschen als lediglich externe mit dem
geschichtlichen Wechsel variieren, bleibt der Tod das einzig wahre Kriterium.
Dem widersteht eine Glorifizierung des Nu: Im Augenblick als Ewigkeit in der
Zeit, wird der Tod genichtet.
Wozu also eine Cioran-Lektüre? Letztendlich bleibt das gesamte Werk
persönlich-subjektivem Duktus verhaftet, dass es keiner inhaltlichen Kritik
exponibel gemacht werden kann. Die Quintessenz des cioranschen Denkens bleibt
demnach als ein Ratgeber abseits der inflationären Ratgeber-Maschinerie unserer
Zeit lesbar, keine hedonistischen, ethisch-moralischen oder sonstige lebens-
und verhaltensoptimierenden Leitlinien beherbergend, sondern gespickt mit
Gedanken für jene, die sich in ähnlichen Lebens- und Leidenssituationen
befanden und in diesem Werk ironischerweise die Affirmation des Lebens finden
werden und sich in Aufbegehren oder Indifferenz gegenüber diesem leidvollen
Dasein üben können.
[1]
Cf. Cioran, Emil; SCD, 390.
Cf. Cioran, Emil; SCD, 390.
[2]
„[...] das anfänglich Anonyme“, LL, 204.
„[...] das anfänglich Anonyme“, LL, 204.
[3]
„Die Individuation zeigt uns die Geburt als Isolierung, den Tod als Rückkehr auf“., Ebd., 203.
„Die Individuation zeigt uns die Geburt als Isolierung, den Tod als Rückkehr auf“., Ebd., 203.
[4]
IEN, 1276.
IEN, 1276.
[5]
„Jede Existenz, die nicht in sich einen großen Wahnsinn birgt, ist wertlos.; SCD, 24.
„Jede Existenz, die nicht in sich einen großen Wahnsinn birgt, ist wertlos.; SCD, 24.
[6]
„Wahnsinn sei unsere einzige Weisheit“., LDL, 140.
„Wahnsinn sei unsere einzige Weisheit“., LDL, 140.
[7]
SCD, 45. Zur Terminologie der Tortur, die das Dasein darstellt, lassen sich in jedem Werk Ciorans unzählige Exempel finden. Zur Entfaltung der Agonie in der Zeitlichkeit cf. das Kapitel bezüglich Zeitlichkeit dieser Arbeit.
SCD, 45. Zur Terminologie der Tortur, die das Dasein darstellt, lassen sich in jedem Werk Ciorans unzählige Exempel finden. Zur Entfaltung der Agonie in der Zeitlichkeit cf. das Kapitel bezüglich Zeitlichkeit dieser Arbeit.
[8]
Cf. CDP, 390.
Cf. CDP, 390.
[9]
LL, 216.
LL, 216.
[10]
Cf. LZ, 17.
Cf. LZ, 17.
Siglen
CP Le crépuscule des
pensées, In: Oeuvres,
Editions Gallimard, Paris 1995
dt. Titel: Gedankendämmerung,
Originaltitel: Pe culmile disperarii
IEN De l´inconvenient
d´etre né, In: Oeuvres, Editions Gallimard, Paris 1979
LZ Lehre vom Zerfall. Essays; Übertragen von Paul Celan,
Klett-Cotta, Stuttgart 1978
LL Le livre des
leurres, In: Oeuvres, Editions Gallimard, Paris 1995, dt. Das
Buch
der Täuschungen
LS Des
larmes et des saints, In: Oeuvres, Editions Gallimard, Paris 1995,
dt. Das
Buch
der Täuschungen
LSL Leidenschaftlicher Leitfaden, Übersetzung
von Ferdinand Leopold, Suhrkamp,
Suhrkamp,
Frankfurt am Main 1996
SCD Sur les cimes du
desespoir; In: Oeuvres; Editions Gallimard, Paris 1995;
dt. Titel:Auf den Gipfeln der
Verzweiflung
VS Die
verfehlte Schöpfung; Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1979, Über-
setzung
der Originalausgabe Le mauvais démiurge; Editions Gallimard, Paris 1969