Montag, 25. Februar 2013

Emil und der Selbstmord - Von Ciorans Kampf der Völker zum Kampf gegen sich selbst

Ein Essay von Katharina Kaps:

Als Kafka einem Freund zu verstehen gibt, er schreibe, weil er andern-
falls wahnsinnig würde, weiß er, dass Schreiben schon Wahnsinn,
sein Wahnsinn ist, eine Art Wachen außer Bewußtsein,
Schlaflosigkeit. Wahnsinn gegen Wahnsinn.
(Blanchot, Die Schrift des Desasters)

say anti-anti, anti-anti
say anti-anti, anti-anti
Bonaparte,  Anti-anti




Antinatalität? Was´n das? Eine Entgegnung zum arendtschen Gebürtlichkeits-Konzept? In gewisser Weise mag dies stimmen, ohne dass Cioran je wirklich Kenntnis von Arendt (oder vice versa) genommen hätte. Arendts Ansatz einer durch das menschliche (Immer-wieder) Anfangen-Können bedingten vita activa entgegnet Cioran mit einer vita passiva (die keine vita contemplativa ist); einem von Skepsis befallenen Dasein, das sich in gleichgültiger Larmoyanz (sic!) satiniert: dem cioranschen Zustand des Nicht-Selbstmordes[1].
Die essentiellen Fundamente des (französisierten, späteren) cioranschen Schreibens: Die – sublimierte – Negation des als kontingent und leidvoll erlebten Daseins, die radikale Subjektivität basierend auf einer vitalistisch und durch einen perennierend zweifelnden Geist geschwächt gedachten Existenz, die (nun) intrasubjektiv lokalisierte Kampfarena (die nicht mehr eine Arena verschiedener Völker-im-Kampf ist), der konsequenter Nihilismus, eskortiert von einem „Suizid als Methode“, expliziert in eruptionsartigem Schreiben – so lautet das Resümee der wichtigsten Inhalte des cioranschen Œuvre.

Auftakt dieser Lehre bildet die Setzung eines ursprünglich rein biologisch-vitalen Daseins. Im instinktiven, sein teleologisches Moment wesenhaft in sich tragenden (Über)Lebenswillen wird ein Faktor des fundamentalen Leids gesehen, dessen immanente Ursache das Leben in der Zeitlichkeit ist. Der Wille ist eine Funktion eines dem Dasein „aufgepfropften“ Geistes. Cioran verflucht (sic!) die Entwicklung des Geistes aus der Materie, in anderen Publikationen die Genese der Materie überhaupt. Dem Vergehen-zum-Tode wird die Glorifizierung des Nu opponiert: Im hypostatisierten Augenblick sieht Cioran die Möglichkeit der Ewigkeit, eines schopenhauerischen nunc stans.
Es gilt nicht das Dasein als Geworfenes gemäß seiner Möglichkeiten zu realisieren, es bleibt lediglich ein Wüten über die Gewesenheit des paradiesischen „[...] l´anonymat initial.“[2] Auf diesen vorgeburtlichen Noch-nicht-Seins-Zustand rekurriert eine resignativ-religiöse Sinnsuche des sich nach einem verklärten Pränatalitätsparadies sehnenden Individuums. Das dem Faktum der Geburt adäquat gesetzte principium individuationis, dessen Folge das Leben innerhalb der Zeitlichkeit, also ein Dasein-zum-Tode ist, figuriert als intramundän erfahrbare Kausalität allen Leids: „L´individuation nous révèle la naissance comme un isolement et la mort comme un retour“.[3] Diese Rückkehr wird mystisch-verklärt zur Rückkehr in einen Zustand, in dem wir noch nicht als Singularitäten existierten, aber eine pränatal-harmonische Totalität gegeben war – ein Mystizismus, der in ähnlicher Lesart bereits vom mittelalterlichen Eckhart, sowie Mainländer oder auch Weil im 20. Jahrhundert propagiert wurde. Leben repräsentiert ergo das Paradox einer Gewissheit, sterben zu müssen, und einer konsequent gelebten Defensivhaltung gegenüber dieser Gewissheit.
Nichts rechtfertigt die Tatsache dass man lebt; nichts das einzige Pech, das Licht der Welt zu erblicken.[4] Es bleibt nur, sich an das Absurde zu halten, was einer Verrücktheit gleichkommt. Dies lässt Cioran schließen, dass „[t]oute existence qui ne recèle pas une grande folie reste depourvu de valeur“.[5] Die Absurdität des originären Prinzips wird in das Subjekt hinein geholt und dort als Eigenes angenommen und kultiviert. Nicht die Vernunft, sondern der dem menschlichen Dasein immanente Wahnsinn wird hier als spezifisch menschliches Charakteristikum gesetzt. Cioran positioniert „Wahnsinn“ als in Opposition zur Vernunft zu stehend und infiltriert den Begriff mittels dieser Kontrastierung mit positiver Konnotation. Er kann, obwohl zahlreiche Versuche davon zeugen, den Vernunftbegriff nicht absolut negieren, wohl aber dessen Wirkungsbereich als unzureichend erklären: „Que la folie soit notre seule sagesse“.[6] Das bedeutet, man muss das Wissen, das man habe, das existenziell-bedrückende Wissen, sterben zu müssen, transzendieren, und sich der Irrationalität hingeben – um in dieser zu leben.
Aus der Irrationalität des Daseins, eine aus dem Bereich der Affektionen deduzierte Erkenntnis, folgt nach Cioran die These, da es keinen Grund zu leben gibt, es ebenso wenig einen Grund zu sterben geben kann. Dies wiederum gilt für alle in einem in diesem vereinten und doch individualisierten Sein-zum-Tode. Dieses Leben jedoch, dem wir anheimfallen, bedeutet nicht nur essentielles Leid, eine Ideologie, die zuvor schon Schopenhauer und Mainländer propagierten; bei Cioran entwickelt sich dieses Leiden zur existentiellen Geißel der Agonie.[7] Oder auch: Sein ist der Zustand des Nicht-Selbstmordes.[8]
Gleichzeitig oder dennoch erfährt das Leben als einzig unmittelbar erfahrbare Realität selbst eine Apotheose: Der Rest ist Philosophie, Christentum oder andere Form des Verfalls.[9] Es gibt lediglich eine allen Individuen zu Teil werdende Universalität: Die des Lebens und damit des Todes.[10] Während die Ideen vom Wesen des Menschen als lediglich externe mit dem geschichtlichen Wechsel variieren, bleibt der Tod das einzig wahre Kriterium. Dem widersteht eine Glorifizierung des Nu: Im Augenblick als Ewigkeit in der Zeit, wird der Tod genichtet.

Wozu also eine Cioran-Lektüre? Letztendlich bleibt das gesamte Werk persönlich-subjektivem Duktus verhaftet, dass es keiner inhaltlichen Kritik exponibel gemacht werden kann. Die Quintessenz des cioranschen Denkens bleibt demnach als ein Ratgeber abseits der inflationären Ratgeber-Maschinerie unserer Zeit lesbar, keine hedonistischen, ethisch-moralischen oder sonstige lebens- und verhaltensoptimierenden Leitlinien beherbergend, sondern gespickt mit Gedanken für jene, die sich in ähnlichen Lebens- und Leidenssituationen befanden und in diesem Werk ironischerweise die Affirmation des Lebens finden werden und sich in Aufbegehren oder Indifferenz gegenüber diesem leidvollen Dasein üben können.


[1]
           Cf. Cioran, Emil; SCD, 390.
[2]
          „[...] das anfänglich Anonyme“, LL, 204.
[3]
          „Die Individuation zeigt uns die Geburt als Isolierung, den Tod als Rückkehr auf“., Ebd., 203.
[4]
           IEN, 1276.
[5]
          „Jede Existenz, die nicht in sich einen großen Wahnsinn birgt, ist wertlos.; SCD, 24.
[6]
          „Wahnsinn sei unsere einzige Weisheit“., LDL, 140.
[7]
           SCD, 45. Zur Terminologie der Tortur, die das Dasein darstellt, lassen sich in jedem Werk Ciorans unzählige       Exempel finden. Zur Entfaltung der Agonie in der Zeitlichkeit cf. das Kapitel bezüglich Zeitlichkeit dieser Arbeit.
[8]
           Cf. CDP, 390.
[9]
           LL, 216.
[10]
          Cf. LZ, 17.




Siglen
CP                          Le crépuscule des pensées,  In: Oeuvres, Editions Gallimard, Paris 1995
                               dt. Titel: Gedankendämmerung, Originaltitel: Pe culmile disperarii
IEN                         De l´inconvenient d´etre né, In: Oeuvres, Editions Gallimard, Paris 1979
LZ                          Lehre vom Zerfall. Essays; Übertragen von Paul Celan, Klett-Cotta, Stuttgart 1978
LL                           Le livre des leurres, In: Oeuvres, Editions Gallimard, Paris 1995, dt.  Das
                               Buch der Täuschungen
LS                           Des larmes et des saints, In: Oeuvres, Editions Gallimard, Paris 1995, dt.  Das
                               Buch der Täuschungen
LSL                        Leidenschaftlicher Leitfaden, Übersetzung von Ferdinand Leopold, Suhrkamp,
                               Suhrkamp, Frankfurt am Main 1996
SCD                       Sur les cimes du desespoir; In: Oeuvres; Editions Gallimard, Paris 1995;
                               dt. Titel:Auf den Gipfeln der Verzweiflung
VS                                          Die verfehlte Schöpfung; Suhrkamp Verlag, Frankfurt am  Main 1979, Über-
                               setzung der Originalausgabe Le mauvais démiurge; Editions Gallimard, Paris 1969

Mittwoch, 20. Februar 2013

Radiosendung über Philipp Mainländer

 Zur Sendung...

"Eigentlich hieß der 1841 in Offenbach am Main geborene dichtende und denkende Kaufmann Philipp Batz. Etablierte Literaturwissenschaftler und Philosophen haben den unglücklichen Selbstmörder mit dem Etikett „Schopenhauerschüler" versehen und dann schnell vergessen. Sein Denken war vielen zu radikal. Doch außerhalb und am Rande der akademischen Zunft erlebt er derzeit eine nicht unbeträchtliche Wiederentdeckung. Seine Werke werden neu herausgegeben, eine Biografie ist erschienen, wissenschaftliche Aufsätze in Fachzeitschriften wurden publiziert. Dort kann man dann lesen, Mainländer löse Denkblockaden. Und sein Hauptwerk, die Philosophie der Erlösung, sei, wie bereits Theodor Lessing geschrieben hat, „vielleicht das radikalste System, das die philosophische Literatur kennt“."

Was ist anthropofugale Philosophie?

Hier gibt es eine sehr lesenswerte Rezension zu Ulrich Horstmanns Buch "Das Untier": 

I. Das Untier schlechthin: der Mensch

In seinem 1983 zuerst, 1985 dann als Suhrkamp-Taschenbuch erschienenem Essay entwickelt Horstmann das Grundmuster dessen, was er "anthropofugales Denken" nennt. Der Einsatz des Buches gibt unmittelbar den ironisch-sarkastischen Ton dieses Philosophierens an:
Die Apokalypse steht ins Haus. Wir Untiere wissen es längst, und wir wissen es alle. Hinter dem Parteiengezänk, den Auf- und Abrüstungsdebatten, den Militärparaden und Anti-Kriegsmärschen, hinter der Fassade des Friedenswillens und der endlosen Waffenstillstände gibt es eine heimliche Übereinkunft, ein unausgesprochenes großes Einverständnis: dass wir ein Ende machen müssen mit uns und unseresgleichen, sobald und so gründlich wie möglich – ohne Pardon, ohne Skrupel und ohne Überlebende.   (Suhrkamp-Ausgabe, S. 7)
Diese These ist zunächst mehr als überraschend. Sie beinhaltet, dass alle Anstrengungen der Menschheit, auch und erst recht diejenigen, die auf eine grundsätzliche Überwindung des Krieges zielen, letztlich, "in der Heimlichkeit [unserer] Vernunft" (ebda.), das Gegenteil meinen und auf eine Auslöschung, nicht nur des menschlichen, sondern des Lebens überhaupt, gerichtet sind:
Der wahre Garten Eden – das ist die Öde. Das Ziel der Geschichte – das ist das verwitternde Ruinenfeld. Der Sinn – das ist der durch die Augenhöhlen unter das Schädeldach geblasene, rieselnde Sand. (S. 8).
Damit sind von vornherein alle Ideen, sei es der Philosophie oder der Religion, von Fortschritt, einem Telos der Geschichte oder gar der Erlösung, beiseite gewischt. Sie können nichts weiter sein, als mühsame Versuche, sich das Sinnleere unserer Existenz zu verbergen, nein, mehr noch, sie arbeiten dem Nichts, das sie nicht gelten lassen wollen, insgeheim, wie wir gesehen haben, dennoch zu... weiterlesen



Freitag, 15. Februar 2013

Filmempfehlung: Lars von Trier - Melancholia

"Ein wunderschöner Film über das Ende der Welt – wer außer Lars von Trier würde sich auf so ein waghalsiges Unterfangen einlassen? Der seit Jahren für seinen Mut und seine Risikobereitschaft gefeierte Regisseur legt mit Melancholia erneut ein Meisterwerk vor, mit dem er ganz neue Wege beschreitet und sein Publikum abermals überrascht. Einmal mehr blickt der mehrfach mit Preisen ausgezeichnete Däne, dabei mit seinem bildgewaltigen und emotional schonungslosen Drama tief in die seelischen Abgründe und Ängste seiner ungleichen Protagonistinnen."

Melancholia